Commissaire-Llob 1 - Morituri
interessiert.“
„Das ist aber nett! Du hast mir da vorhin ganz
schön Angst eingejagt, also wirklich.“
„Der Albino, ist das ein Kunde von dir?“
„Ist das ein Codename?“
„Das ist der Kerl, der den Mercedes gefahren hat.
Wir haben gesehen, wie er dich bei der Freundin
von Didi abgesetzt hat.“
„Du meinst den Verrückten ohne Pigmente? Die
nennt man Albino? Das wußte ich nicht. Meiner
Meinung nach ist der Typ von der Geheimpolizei.
Er kannte mich besser als meine eigene Mutter. Er
hat mich gezwungen, ihn zu Yasmina zu führen.
Yasmina wußte aber nicht viel. Da ist er sauer ge-
worden, der Albi…dings, und hat ziemlich fest
zugeschlagen. Er wollte sich zu Abou Kalybse
durchfragen.“
„Und dich hat er verschont.“
„Das ist nicht dasselbe. Wir haben einen Deal
gemacht. Der Albidings hat mir Kohle verspro-
chen, wenn ich ihm eine Spur beschaffen könnte.
Ich war bei Lakja, um zu verhandeln. Lakja war
auch nicht viel weiter gekommen. Von Abou Ka-
lybse kannten wir nur das Knirschen des Faxgerä-
tes … Ich wollte mich ein für allemal zur Ruhe
setzen, das schwöre ich. Mit meiner Provision
wollte ich einen kleinen Laden aufmachen, Kinder
in die Welt setzen und ein Kapitel meines Lebens
beenden. Zweihundert Scheinchen hat er mir ver-
sprochen, der Albidings. Und ihr habt mir nun die
Tour vermasselt.“
„Tschuldigung“, äfft ihn Lino nach, „haben wir
nicht gewußt.“
Slimane betrachtet seine Fingernägel und über-
legt.
„Stimmt es, daß ihr die Terroristen hinrichtet?“
„Na, was glaubst du?“
„Ich möchte Reue zeigen. Ist das möglich?“
„Sonst noch was?“ schnarrt Lino.
„Beim Leben meiner Mutter, ich habe Abou Ka-
lybse nie getroffen. Er kontaktiert mich immer per
Fax. Hinterher nehme ich von Didi meine Gage in
Empfang.“
„Wo ist Didi jetzt?“
„Nicht die leiseste Ahnung.“
„Im Untergrund?“
„Didi im Untergrund? Der kann doch ohne seine
Badewanne und sein weiches Bett nicht leben.“
„Was ist er eigentlich genau? Euer Schatzmeis-
ter?“
„Eine Art Briefkasten.“
„Und wer ist der Briefträger?“
An dieser Stelle wird Slimane vollständig wach.
Seine Augen schleudern Blitze aus dem Jenseits.
„Hat deine Frage einen Preis, Bulle?“
„Können wir verhandeln?“
Er entspannt sich, verschränkt die Hände im Na-
cken, kreuzt die Beine unter dem Laken, fixiert
träumerisch die Decke. Ich habe nicht wenig Lust,
ihm die Eingeweide herauszureißen.
„Ich verlange die Freilassung“, kläfft er nach ei-
ner Weile.
„Sonst nichts?“
„He!“
Er bricht wieder in sein hämisches Lachen aus.
Selbst eine Hyäne wäre unfähig, ihn nachzuahmen.
„Die Freilassung oder gar nichts.“
Lino reißt sich brüsk vom Fenster los, ist mit ei-
nem Satz über ihm und trommelt wie wild auf sei-
ne Wunde ein. Die Schreie und Flüche hallen
durch den ganzen Block. Im Nu sind der Arzt und
eine Traube Schwestern im Raum und versuchen,
den Leutnant mit Händen und Füßen von seinem
grausamen Treiben abzubringen.
Slimane fleht zu Tode erschrocken: „Bringt die-
sen Irren weg und ich werde alles sagen.“
16
In Algier gibt es Tage, an denen Himmel und Meer
sich zusammentun, um ein Gefühl unglaublicher
Fülle zu erzeugen. Alles ist blau bis in Neptuns
Bett hinein, und die Sonne, dieser Schalk, bringt es
fertig, im tiefsten Winter den Sommer wachzuküs-
sen. Von allen Sonnen der Welt ist unsere die ein-
zige, der dieses Kunststück gelingt.
Alles wirkt unglaublich heiter. Man hört die Vö-
gel zwitschern und die Blätter rauschen. Die Luft
ist eine Hochzeitsgesellschaft aus lauen Winden
und süßen Düften. Man möchte am liebsten ein-
schlummern und niemals wieder aufwachen.
Es gibt keinen Zweifel: Das Paradies ist Gottes
Schöpfung, die Hölle dagegen von Menschenhand.
Sie ist schön, unsere weiße Stadt, wenn die Luft
so klar ist, daß man im Umkreis mehrerer Meilen
eine Eiche von einem Johannisbrotbaum unter-
scheiden kann. Gäbe es da nicht diese greulichen
Attentate und die Scharen der Erleuchteten, die wie
Motten die Straßen und die Gehirne zerfressen,
man würde Algier nicht gegen tausend Märchen-
städte eintauschen.
Ich sitze entspannt auf dem Balkon und betrachte
die Kasbah, die sich an ihrem Riff festklammert,
um der Plünderung durch die abziehenden Wogen
zu entkommen, Bab-el-Oued, das an eine Kaserne
am Ausgangstag erinnert, und weiter unten den
Hafen, der dem
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