Commissaire-Llob 1 - Morituri
Dun-
keln.
„Irgend jemand hat seit heute morgen dauernd
angerufen.“
„Schlaf weiter.“
Ich taste auf dem Nachttisch herum, finde eine
Zigarette, zünde sie an. Im Nebenzimmer phanta-
siert mein Jüngster zehn Sekunden lang vor sich
hin und ist dann still. Die Nacht leuchtet bläulich
durch die Fenstergitter. An einem gespenstischen
Himmel sehnt sich ein Stück vom Mond nach sei-
ner ganzen Fülle.
Noch einmal das Telefon.
„Da bin ich wieder, Habibo.“
„Du hast die falschen Tabletten geschluckt, hab
ich recht?“
„Das ist eben meine Art. Es gefällt mir, mit der
Beute zu reden, bevor ich sie kaltmache. Das bringt
einen einander näher, man lernt sich kennen. Ich
hasse es, jemanden umzubringen, den ich nicht
kenne. Das hinterläßt den Nachgeschmack des Un-
fertigen … He, was willst du? Die Leute sind nicht
alle gleich.“
„Wer spricht denn da?“
„Ganz sicher ist es kein Störgeräusch, Habibo.“
„Soll das ein Witz sein?“
„Meine Freunde finden, daß ich keinen sehr aus-
geprägten Sinn für Humor habe. Dem Kerl, den ich
neulich darauf vorbereitet habe, erstochen zu wer-
den, ist nichts Besseres eingefallen, um mein Mit-
leid zu erwecken, als zu erzählen, er hätte eine
chronische Rachenentzündung.“ Lachen aus dem
Hörer. „Bist du noch da, Habibo? Warum hustest
du nicht ein bißchen heftiger …“ Lachen. „Ciao!“
Meine Zigarette ist zwischen meinen Finger ver-
glüht. Ich habe nichts gespürt. Ich setze mich auf
und starre bis zum Morgengrauen das Telefon an.
Habibo ruft nicht mehr an.
„Du bist blaß“, teilt mir Mina am frühen Morgen
mit.
„Fang nicht wieder damit an, ich bitte dich.“
Ich esse nur mit halbem Appetit. Mein Butterbrot
bleibt mir im Hals stecken. Ich weiß nicht warum,
aber mit einem Mal verursacht mir der Butterge-
ruch Brechreiz.
In der Garage macht der Parkwächter dieselbe
Bemerkung: „Sie sind blaß, Herr Kommissar.“
„Ich habe zuviel Milch in meinen Kaffee getan.“
Ich untersuche den Parkplatz, schaue unter die
Autos, nähere mich meinem Zastava, kontrolliere
die Griffe, ohne sie zu berühren, aus Vorsicht vor
eventuellen Drähten, spähe unter die Motorhaube.
Nicht die Spur einer Bombe.
„Sind Sie sicher, daß alles in Ordnung ist?“ fragt
der Parkwächter interessiert.
„Sind Sie Arzt?“
„N-nnnein.“
„Also was geht Sie das dann an?“
Der Parkwächter zieht den Kopf ein und ver-
schwindet.
Ich setze mich hinters Steuer, nehme meinen
ganzen Mut zusammen und drehe den Zündschlüs-
sel. Der Motor heult sofort auf. Seltsamerweise.
Für gewöhnlich ist er störrisch.
Erst als ich den Schalthebel berühre, entdecke ich
den Zettel am Rückspiegel:
„Du bis tot, Habibo.“
Wenn Bliss meinen schlimmsten Feinden erzähl-
te, daß Llob ein Angsthase ist, der sich schon bei
einer Kleinigkeit in die Hose macht, würde ihn
niemand ernst nehmen. Trotzdem habe ich einen
Stich lang das Gefühl, als würde der Himmel über
mir zusammenbrechen.
* * *
Habibo stößt im Büro wieder zu mir.
„Hast du meine Nachricht gefunden?“
„ Du bist, das schreibt man mit t .“
„Es ist ja nicht meine Sprache …“
„Was willst du?“
„Mich mit dir amüsieren. Ich war in der Garage.
Ich hab mich halb totgelacht. Deiner armen Karre
sind die Sicherheitsventile durchgebrannt. Du wirst
dich fragen, wo ich mich versteckt habe, Habibo,
hm? Du hast ja überall nachgeschaut. Das beweist,
wie schlau ich bin. Ich hätte dich gut umbringen
können. Ich hab’s nicht eilig. Ich werde dich leiden
lassen. Du wirst mich noch anflehen, dich fertig-
zumachen. Ich liebe es, wenn man mich anfleht.
Ich fahr da voll drauf ab. Manchmal lasse ich der
Beute einen kleinen Hoffnungsschimmer. Sie
klammert sich mit ganzer Kraft daran. Sie schleppt
sich vorwärts bis zur Tür. Ich bin schon ganz aus
ihren Gedanken verschwunden. Sie robbt durch ihr
Blut, erreicht die Tür, sieht die Treppe, sieht die
Tür des Nachbarn. Nur drei Meter, nur noch zwei
Meter, nur noch ein Meter. Sie hebt die Hand,
schwer wie ein Amboß, kratzt an der Nachbartür,
wieder und wieder. Die Tür öffnet sich endlich,
und der Nachbar, das bin ich.“ Er beginnt unheil-
voll zu lachen.
Eine halbe Stunde später ruft Mina mich an:
„Man hat ein Paket vor unserer Tür abgelegt.“
„Faß es auf keinen Fall an!“ schreie ich. „Und
bewahr die Ruhe. Nimm die Kinder und ver-
schwinde. Keine Hektik, Liebling.
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