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Commissaire-Llob 1 - Morituri

Commissaire-Llob 1 - Morituri

Titel: Commissaire-Llob 1 - Morituri
Autoren: Yasmina Khadra
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auf. Und mit schäbiger Vet-
    ternwirtschaft und Komplizentum steigt man auch
    nicht in den Rang einer Nation empor.
    Lino hat seine Begeisterungsausbrüche ein für al-
    le Mal abgestellt. Er weiß jetzt, was hinter dem
    Reichtum der anderen steckt. Lino ist hart gewor-
    den. Verbittert, aber hart im Nehmen. Es hat eine
    Weile gebraucht, ihm die Augen zu öffnen, aber
    jetzt hat er den Durchblick.
    Er verachtet die Arroganz der Paläste und inte-
    ressiert sich ausschließlich für deren Hausnum-
    mern. Die Nummer 17 läßt es sich am Ende der
    Straße gutgehen, die Nase zum Garten gereckt, das
    Hinterteil in Sand gebettet. Ein architektonisches
    Schmuckstück mit blauem Stein auf der Fassade,
    Arkaden auf der Veranda und einer Schwingtür,
    die niedlicher ist als jede Nippesfigur.
    Sid Lankabout läßt uns fünf Minuten schmoren,
    bevor er uns öffnet.
    „Llob?“ Er zieht die Brauen hoch.
    „Überrascht?“
    „Absolut. Welcher Wind hat euch hierher ge-
    weht?“
    „Der Wind, der sich dreht, Monsieur Lankabout.“
    Er streicht die Vorderseite seines Hausmantels
    glatt, betrachtet Lino.
    „Ich kann euch nicht hereinbitten. Ich schreibe
    gerade.“
    „Sie werden im Gefängnis noch genug Zeit ha-
    ben, an Ihrer Litanei herumzufeilen.“
    Kaum bemerkbar schnellt seine rechte Braue
    nach oben. Der Rest bleibt reglos.
    „Ich verstehe“, meint er.
    Seine Gelassenheit soll mich wohl glauben ma-
    chen, daß er ein Mann von Charakter ist. Seine
    lange Liaison mit den Mächtigen im Staat hat ihn
    eine falsche theatralische Größe annehmen lassen.
    Er errät den Grund meines Besuchs, doch die
    Verachtung, die er für mich hegt, verbietet ihm,
    mir auch nur im geringsten entgegenzukommen.
    Ich drücke ihn zur Seite und betrete sein Domizil.
    Im Salon lagert ein ganzes Arsenal von elektroni-
    schem Spielzeug, Soft- und Hardware, Faxgeräte
    und Funkanlagen, die den Ort zum Sitz eines Ge-
    neralstabs machen.
    „Das also ist Ihr apokalyptisches Labor, Monsi-
    eur Abou Kalybse?“
    „Ich habe Sie beträchtlich unterschätzt, Llob.“
    „Den Polizisten oder den Schriftsteller?“
    „Beide. Jedesmal, wenn ich Ihren Namen auf die
    schwarze Liste setzen wollte, hat mich meine kate-
    gorische Weigerung, Ihnen Talent zuzugestehen,
    davon abgehalten. Gleichzeitig hat es mir Spaß
    gemacht, Ihren Ruf als Spürnase auf die Probe zu
    stellen.“
    Ich befehle Lino mit einer Kopfbewegung, die
    obere Etage zu inspizieren.
    Sid Lankabout nimmt feierlich hinter seinem
    Schreibtisch Platz und streichelt die Blätter, die
    randvoll mit seinen Inspirationen sind. „So ein
    schöner Roman“, seufzt er.
    „Das sagt man sich immer, bevor der Lektor sein
    Gutachten vorlegt.“
    An den Wänden hängen die Porträts der kürzlich
    ermordeten Intellektuellen, die Jagdliste des Abou
    Kalybse. Die Trophäen seines düsteren Ruhms:
    drei Schriftsteller, vier Gelehrte, ein Theokrat, fünf
    Journalisten, ein Schauspieler und ein Professor.
    Mein Blick bleibt am kauzigen Gesicht meines
    verstorbenen Freundes Aït Méziane hängen. Mein
    Herz krampft sich zusammen. „Welch ein Ver-
    lust!“
    Sid Lankabout sammelt seine Blätter ein, stapelt
    sie, klopft den Packen mit der Handfläche glatt.
    Das Fenster hinter ihm geht auf einen Fels hinaus,
    an dem die Wellen lecken.
    Er beginnt vorzulesen: „Gott vermag die Lage
    eines Volkes nur zu verbessern, indem er seine
    Mentalität korrigiert.“
    „Vielleicht sollte man lieber die Ihre korrigie-
    ren.“
    „Ich denke nicht. Wenn ich all diese degenerier-
    ten Bastarde sehe, die unsere Städte überfluten,
    diese amerikanisierten Jugendlichen, diese Intel-
    lektuellen, die sich anstrengen, uns eine Kultur
    einzutrichtern, die nicht die unsere ist, und uns
    allen Ernstes glauben machen wollen, daß ein Ver-
    laine zehn Chawqis aufwiegt und ein Pulitzer zehn
    Aqqads, daß Gide die reine Wahrheit und Tawfik
    Al-Hakim* ein Nichts ist, daß die Transzendenz
    abendländisch ist und es Rückschritt bedeutet, zum
    Arabischen zurückzukehren, dann tue ich nur das,
    was Goebbels angesichts Thomas Manns auch ge-
    tan hätte: ich ziehe die Pistole.“ [ * Ahmed Chawqi (auch Chawki oder Shawki), 1868-1932, Abbas Mahmud Al-Aqqad (auch Akkad), 1889-1964, Hussein Tawfik Al-Hakim, 1899-1987: ägyptische Dichter, drei der bedeutendsten Autoren der modernen arabischen Literatur. Al-Aqqad, berühmt wegen seines virtousen Umgangs mit der arabischen Sprache, war auch als kritischer Publizist hoch angesehen, deshalb hier
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