Commissaire-Llob 1 - Morituri
Alarmiere die
Nachbarn. Das ganze Gebäude muß evakuiert wer-
den. Ich komme …“
* * *
Das Paket liegt vor meiner Wohnungstür. Zwei
Pyrotechniker hören es in einer unerträglichen Stil-
le ab. Sicherheitskräfte haben die Straße abge-
sperrt. Mina und die Kinder warten aschfahl und
stumm in einem Zellenwagen. Sie zittern am gan-
zen Leib.
Ich beobachte die Umgebung. Ich spüre, daß Ha-
bibo ganz nah ist, so nah, daß ich auf ihn spucken
könnte. Und alle Gesichter kommen mir verdächtig
vor.
Die beiden Pyrotechniker nehmen schließlich das
Paket auseinander. Als sie aus dem Gebäude kom-
men, gerät die Menge in Bewegung.
„Blinder Alarm“, beruhigt mich der Diensthöhe-
re.
In dem Paket finde ich Seife für meine Totenwä-
sche, ein Leichentuch und eine Gebetskette. Ein
alter Brauch aus unserer Gegend.
Ich nehme Lino zur Seite und trage ihm unauffäl-
lig auf: „Versuch, meinen Cousin Kader in Béjaïa
zu erreichen. Sag ihm, daß ich ihm Mina und die
Kinder schicke. Sie dürfen auf keinen Fall in Al-
gier bleiben.“
* * *
Drei Tage später, auf der Straße nach Zéralda, wird
mein Wagen von einem Meteor gestreift. Ich dis-
kutiere gerade über Funk mit Lino und merke gar
nicht, wie mich eine fette Limousine überholt.
Plötzlich rempelt sie gegen meine Tür und schüt-
telte mich von Kopf bis Fuß durch. Ich erinnere
mich nur noch, daß die Straße uneben wurde, dann,
daß mich der Straßengraben verschlang, schließlich
das Nichts …
* * *
„Mehr Glück als Verstand“, beruhigt mich der
Arzt, während er sich die Röntgenbilder ansieht.
„Ihr Schädel ist so hart wie die Eisenkugel eines
Sträflings.“
Ich weiß nicht, ob es sich dabei um ein Kompli-
ment oder um eine Diagnose handelt, aber ich bin
ordentlich erleichtert. Ich ziehe mich vor dem
Spiegel wieder an. Mit dem Verband, der mir den
Schädel einhüllt, sehe ich aus wie ein Fakir, dessen
Zöpfe in eine Mühle geraten sind.
Habibo ruft mich um vier Uhr morgens an: „Du
hättest mir fast den Abend verdorben.“
„Ich werde das nächste Mal besser aufpassen,
nicht wahr, Didi …?“
Am anderen Ende der Leitung wird aus vollem
Halse gelacht.
„Didi ist tot, Habibo. Man hat ihn in ein Loch ge-
steckt und mit Stahlbeton zugeschüttet. Die Bande
von Sid Lankabout, kaputt! Nur du und ich sind
noch übrig. Wir werden uns prächtig unterhalten
… Wo hast du eigentlich deine verlausten Gören
hingebracht? Ich werde sie wiederfinden. Ich wer-
de Pastete machen aus ihrem Gehirn.“
„Nun mal langsam! Du hast gesagt, ich wäre
schon tot, und ich lebe noch.“
„Aber nein, du bist tot. Vollkommen tot. Nur du selber denkst, daß du noch von dieser Welt bist.
Dein Totenschein wurde gleichzeitig mit dem
Dienstvertrag unterzeichnet. Man sagt mir nach,
daß ich meine Opfer beerdige, bevor sie noch auf
die Welt kommen.“
„Beweis es.“
Ich lege auf.
Er ruft mich sofort wieder an.
„Verdammter Hurensohn. Ich kann es nicht aus-
stehen, wenn man mir das Wort abschneidet. Mach
das nie wieder mit mir.“
Ich reiße das Telefonkabel heraus.
* * *
Es ist Montag. Ein griesgrämiger Himmel ergießt
seinen Mißmut über die Stadt. Die Sonne meines
Landes deprimiert. Die Greuel, die ihr die Nacht
hinterläßt, sind stärker als ihre Magie.
Jeden Morgen erfahren wir aus dem Tagesbe-
richt, daß ein Kind getötet, eine Familie dezimiert,
ein Zug angezündet, ein anderer Winkel des Lan-
des heimgesucht wurde. Ich zwicke mich, bis ich
blute, um sicher zu sein, daß ich nicht träume.
Nein, es ist kein böser Traum. Auf der guten alten
Erde Numidiens bringen sich die Brüder mit au-
ßerordentlicher Grausamkeit gegenseitig um.
Unter allen Völkern sind wir das „radikalste“.
Wir sind davon überzeugt, die Besten oder aber die
Schlimmsten zu sein. Von der goldenen Mitte ha-
ben wir nie etwas gehört. Wir haben die tapfersten
Soldaten der Welt und die mutigsten Frauen, und
unter unseren Nachkommen finden sich die
schrecklichsten Monster des Planeten. Mäßigung
halten wir für Unsinn, für „Appetitlosigkeit“. Viel-
leicht sind wir deshalb so unbezähmbar wie unver-
nünftig.
Währenddessen glauben wir weiterhin, daß eine
Schubumkehr möglich ist, daß von einem Moment
zum nächsten die Hölle der Menschen dem Para-
dies Allahs Platz machen wird, daß mit einem Mal
Djazaïr* wieder Djazaïr sein wird, das heißt, ein
Ort, an dem zwar nicht alles eitel
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