Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Commissaire-Llob 2 - Doppelweiß

Commissaire-Llob 2 - Doppelweiß

Titel: Commissaire-Llob 2 - Doppelweiß Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Yasmina Khadra
Vom Netzwerk:
stößt den Arm des Targi beiseite und geht die Treppe hoch. Ohne ein Wort. Er wirft mir einen vernichtenden Blick aus rabenschwarzen Augen zu, schiebt Lino beiseite und tritt den Heimweg an.
    Wir folgen ihm.
    Er hat sich eine Decke übergeworfen und sitzt jetzt auf einer Bank. Sein Gesicht ist vor Wut ganz entstellt.
    »Wenn ihr mich gefunden habt«, grollt er, »dann finden mich auch die anderen. Der Staatsanwalt ist der einzige, der meinen Unterschlupf kennt.«
    »Der hat uns ja auch deine Adresse gegeben.«
    Er spuckt vehement aus: »Sind alle gleich!«
    Tahar ist klein und braunhäutig und so drahtig wie ein Nagel. Sein Kraushaar ist an den Schläfen weiß. Er muß so um die Vierzig sein und eine Menge Gründe haben, warum seine Augen wie Kohlen glühen.
    »Er hätte mich auch vorladen können. Jetzt werden sich die Nachbarn Fragen stellen. Ist denen meine Sicherheit eigentlich völlig schnuppe oder was? Ich habe bereut und mich der Justiz zur Verfügung gestellt. Es besteht nicht die geringste Fluchtgefahr.«
    »Okay, wir haben Mist gebaut. Versuch dich abzuregen.«
    »Und was sonst noch?«
    Er schneuzt sich ungebührlich in die Decke.
    Im Nachbarzimmer haben die Kinder aufgehört zu schreien. Ihr Schweigen ist bedrückend.
    »Wir sind hinter Gai’d her und haben keine Zeit zu verlieren.«
    »Ich bin solide geworden. Ich sehe nicht, wie ich euch helfen könnte. Ich bin sehr viel mehr damit beschäftigt, meine Haut zu retten, als sie zu ernähren. Das hier ist mein dreizehntes Versteck in den acht Monaten, seit ich untergetaucht bin. Ich gehe noch nicht mal mehr ins Freie, um Luft zu schöpfen. Gai’d ist mir auf den Fersen. Er hat meinen Cousin getötet, mein Haus in die Luft gejagt und den Rest meiner Familie gezwungen, ins Exil zu gehen. Ich war noch nicht mal auf der Beerdigung meiner Großmutter.«
    »Bitte beruhige dich.«
    »Ihr denkt wohl, das geht so leicht. Ihr kommt mit eurem ganzen Geschütz angefahren, scheucht alles auf und wollt dann auch noch, daß ich Beifall klatsche. Wo soll ich mich als nächstes vergraben? Ich habe drei epileptische Kinder, eine nervenkranke Frau und kein Loch, um sie unterzubringen.«
    »Wir besorgen dir einen Unterschlupf.«
    Er zieht sich die Decke über den Kopf und murrt weiter, wobei seine knochigen Schultern krampfartig zucken.
    »Ich kann nicht mehr. Ich bin fix und fertig. Ich bring meine Frau und die Kinder um und schneid mir zum Schluß selber die Kehle durch.«
    Er drückt den Nacken durch, richtet den Kopf auf, wischt sich resigniert die Tränen vom Gesicht.
    »Ja …! Das wäre vermutlich das Beste für uns!«
     
    Tahar Brik sollte uns eine Auflistung aller möglichen Verstecke von Gai’d, dem Friseur, übergeben. Ich ließ um jeden Unterschlupf einen Beobachtungsring ziehen, baute ein Alarmsystem auf, das es dem Einsatzteam ermöglichen würde, binnen zwanzig Minuten an Ort und Stelle zu sein, und wartete im Vertrauen auf meine Strategie eine Woche lang, bis das erste Lämpchen auf meiner Schalttafel zu blinken begann.
    Am Freitag um neunzehn Uhr meldet Alarmglocke Nummer 8, daß auf Höhe von Versteck »H« in Hai’ El Moustaqbal ein verdächtiger Wagen aufgekreuzt ist. Ich verfrachte Lino ans Steuer, verstaue Ewegh auf dem Rücksitz, und ab geht die Post.
    Es gibt würdige Namen und andere, die sind so was von stupide, daß sie nicht einmal ein Zähneknirschen provozieren. Eine lose Ansammlung trostlos vor sich hin modernder Baracken, querbeet über eine von fauligen Rinnsalen und Elend überquellende Pampa verstreut, hochtrabend auf den Namen Hai’ el Moustaqbal, »Stadt der Zukunft«, zu taufen, ist der blanke Hohn. Hai’ el Moustaqbal erkühnt sich gar nicht mehr zu hoffen. Auf seinen Horizonten lastet ein Fluch. Seine Zukunft geht vor Angst in die Knie. Das Viertel wirkt, als habe es gerade einen Nervenzusammenbruch hinter sich. Keine einzige Straßenlaterne, kein Gully. Ein versehrtes Niemandsland, von den einen verleumdet, von den anderen verleugnet, ein Stück Erde, dem Untergang geweiht, wo der Mensch weder Individuum noch Staatsbürger ist und in einem Klima völliger Apathie geboren wird und stirbt.
    Unsere Alarmglocke empfängt uns auf einer zum Beobachtungsposten umfunktionierten Dachterrasse. Es ist ein hinfälliger Greis, der beschlossen hat, lieber dem Tod zu trotzen, als dieses Leben zu ertragen - einer jener anonymen Patrioten, die inkognito die vom Fundamentalismus verseuchten Viertel durchstreifen und uns regelmäßig den Pulsschlag

Weitere Kostenlose Bücher