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Commissaire-Llob 2 - Doppelweiß

Commissaire-Llob 2 - Doppelweiß

Titel: Commissaire-Llob 2 - Doppelweiß Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Yasmina Khadra
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habe sein
    Ende in keinem Moment mit der kulturellen Säube-
    rung, die bei uns wütet, in Verbindung gebracht.
    Wenn Sie einen Rat wollen: sehen Sie sich lieber
    in der Halb- und Unterwelt um. Das Terrain dort
    dürfte Ihnen auch vertrauter sein.“
    „Seine Mörder sind bereits identifiziert.“
    „Und worauf warten Sie noch, um sie zu schnap-
    pen?“
    „Auf nichts.“
    „Was haben Sie dann bei mir verloren?“
    Ich mustere ihn: ein Gebiß wie ein Pottwal,
    Klauen wie ein Raubvogel, ein Gelächter wie eine
    Hyäne. So wie er aussieht, könnte er allein einen
    ganzen Zoo bevölkern.
    „Sie haben noch dreiundzwanzig Sekunden, Der-
    rick.“
    „Würde es Ihnen was ausmachen, mich Kommis-
    sar zu nennen?“
    „Ich kann Sie auch Heiliger Vater nennen, wenn
    Ihnen daran liegt. In meinen Augen ist es dasselbe
    in Grün.“
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    Ich wiege den Kopf hin und her: „Ich schätze, ich
    vergeude hier nur meine Zeit, Monsieur Faïd.“
    „Und vor allem die meine.“

    Ich habe den ganzen Tag daran gekaut, doch un-
    verdaut liegt mir die Schmach im Magen, die
    Dahmane Faïd den Vertreter von Recht und Ord-
    nung in Ausübung seines Amtes, wie ich ihn dar-
    stelle, schlucken ließ.
    Einen Augenblick lang habe ich mit dem Gedan-
    ken gespielt, an die Stätte der Unbill zurückzukeh-
    ren und dem Flegel eine Tracht Prügel zu verpas-
    sen. Aber wozu? In einem Land, wo das Gesetz
    sich instinktiv vor dem Geld prostituiert, hätte ich weiter nichts bewirkt, als den geballten Groll der
    Verwaltung zu wecken.
    Als nächstes, wie immer, wenn mir wieder ein-
    mal klar wird, was für ein volltrottliger Pechvogel ich doch bin, der sich selbst das letzte Wort noch
    wegnehmen läßt, habe ich erwogen, meine
    Dienstmarke zurückzugeben und zu Mina und den
    Kindern nach Béjaïa zu fahren, wo mein Bruder sie
    seit sechs Monaten aus Sicherheitsgründen unter
    Verschluß hält.
    Ich kann mir noch so sehr einreden, daß die An-
    ständigen es sich schuldig sind, sich nicht entmutigen zu lassen, weil das Schicksal der Nation von
    ihrer Ausdauer abhängt, der allmächtigen Hydra
    die Stirn zu bieten. Ich kann noch so sehr davon
    träumen, daß eines Tages die Gerechtigkeit über
    Korruption und Klüngel siegen wird. Ich kann
    noch so sehr glauben, daß am Himmel unter Milli-
    arden von Sternen einer nur für mich leuchtet, ei-

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    ner, der schöner ist als sämtliche Galaxien. Die
    Selbstgewißheit, die Typen vom Schlag eines
    Dahmane Faïd demonstrieren, raubt mir am Ende
    jede Energie.
    Ich habe Lino gebeten, mit mir eine kleine Spa-
    zierfahrt längs der Küste zu machen. Das Mittel-
    meer ist von unschätzbarem therapeutischen Wert,
    der Leutnant jedoch von derart entnervender Red-
    seligkeit, daß er selbst die Brüder Barbarossa* [*
    zwei türkische Seeräuber, im 16. Jahrhundert Herrscher über Algier] zur Weißglut gebracht hätte. Zuletzt, als ich schon fürchten muß, daß mich an der nächsten
    Kurve der Schlag trifft, bitte ich meinen Kollegen, mich ans Steuer zu lassen und die Fliege zu machen.
    „Und wie komme ich nach Hause?“ protestiert
    Lino vom Gehweg aus.
    „Zu Fuß.“
    „Ist ’ne heiße Gegend hier, Kommy.“
    „Na gut, dann kommst du eben mit den Füßen
    voran zu Hause an.“ Ich gebe Gas und fahre los,
    ohne mich noch einmal umzusehen.
    Auf der Straße, die im Sonnenlicht glänzt, sehe
    ich Bauern, die sich auf ihren Feldern abrackern,
    Fernfahrer, die ihr Lenkrad fest in beiden Händen
    halten, Frauen, die ohne Zeitgefühl auf einen Bus
    warten, Kinder, die zur Schule trippeln, Müßig-
    gänger, die auf den Terrassen der Cafés meditieren, Greise, die am Fuß von Bretterzäunen vegetieren.
    Und in ihren Gesichtern habe ich trotz der drü-
    ckenden Ungewißheit, trotz der düsteren Tragödie,
    die die Nation heimsucht, eine erstaunliche Heiter-
    keit entdeckt – den Glauben eines gutmütigen,
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    großzügigen Volkes, das noch sein letztes Hemd
    hingibt, das so demütig ist, daß es die Verachtung
    derer weckt, die nichts von den Worten der Pro-
    pheten begriffen haben. Und nur wegen ihres
    Blicks, wegen ihrer Langmut, die schon an Fata-
    lismus grenzt, wegen ihrer Würde, die noch durch
    die dunkelsten Flecken ihres Unglücks durch-
    scheint, habe ich das Lenkrad mitten in der Fahrt
    herumgerissen, bin zur Küstenstraße zurückgefah-
    ren und habe Lino wieder an Bord genommen.

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    Es ist Punkt eins, als ich vor dem Haus Nummer 5
    in der Rue Mosbahi ankomme, mit der Zentnerlast
    von Sid Alis Sandwich

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