Commissaire-Llob 2 - Doppelweiß
im Magen. Eine Schar
faunsgesichtiger Kinder stiebt zappelnd und lär-
mend vor meiner Motorhaube auseinander, spürbar
geschockt von dem neuerlichen Gemetzel, das da
ihr Elend überschattet.
Polizeiwagen verstopfen die engen Windungen
der Gasse, während ein Schwarm vermummter
Ninjas* [* algerische Spezialeinheit zur Terroristenbekämp-fung] auf den Nachbardächern Stellung bezieht. Der unvermeidliche Bliss erwartet mich bereits am
Eingang zum Innenhof, seine Nase in ein Taschen-
tuch gepreßt.
„Halt schon mal deine Gasmaske bereit, Llob!“
ruft er mir mit Hämorrhoidalstimme entgegen.
„Stinkt zum Himmel da drinnen!“
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„Würde mir schon reichen, wenn du das Feld räumen würdest.“
„Ich bin doch kein Iltis.“
„Du stellst eine Bedrohung für die Ozonschicht
dar.“
Lino wiehert hämisch hinter mir los. Bliss zieht
es vor, den Klügeren zu spielen, und läßt uns an
sich vorbei.
Wir gelangen in einen kleinen Innenhof voll
Schotter und Scherben. Ben Hamid, der Kneipier,
baumelt in Unterhosen an einem Zitronenbaum. Er
ist an den Handgelenken gefesselt und hat einen
dicken Wischlappen im Mund. Seine Fußsohlen
sind verkohlt, darunter vermittelt ein Aschehaufen
eine Ahnung von den heiklen Momenten, die er auf
seinem Weg ins Jenseits hinter sich gebracht hat.
„Die Frau ist im Haus“, informiert Leutnant
Charter mich.
Wir kommen durch ein verlottertes Wohnzim-
mer, in dem drei Feldbetten um einen kleinen ge-
drechselten Tisch herum stehen. Zeitungen und
Bierdosen sind über den Boden verstreut. Rechts
von einem rußverschmierten Ölofen führt eine Tür
in eine eklige Küche: modernde Essensreste in den
Tellern, widerliche Flecken auf den Gläsern.
Die Frau liegt im Bad, die Wände sind mit ihrem
Blut bespritzt. Sie ist enorm fett und nackt. Man
hat ihr die Haut vom Rücken abgezogen und die
Kehle von einem Ohr zum anderen aufgeschlitzt.
Mein Mittagessen macht Anstalten hochzukom-
men.
Bliss feuchtet mit spitzer Zunge einen Finger an
und blättert feierlich in seinem Notizblock: „Im
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Hof das Brandopfer, das ist Ben Hamid. Er betrieb
den Club des amis, ein kleines Café im Herzen der Kasbah. Und die Frau da war Prostituierte. Nannte
sich Brigitte.“
Der Brigadier kommt mit einem knochigen Greis
daher, der in seiner zerschlissenen Gandura* [* langer hemdartiger Überwurf] versinkt.
„Das ist der Nachbar von gegenüber.“
Der Alte schiebt seine Scheschia zurück und
kratzt sich verlegen am Schädel. „Na ja, genauge-
nommen habe ich nicht alles gesehen“, sagt er zö-
gerlich. „Bin ja kein Voyeur. War gerade am Fens-
ter und hab auf den Ruf des Muezzins gewartet.“
„Kein Mensch macht Ihnen einen Vorwurf.“
Das beruhigt ihn. Er dreht sich zum Erhängten
um, der von den Polizisten gerade abgenommen
wird, und sagt: „Das war keiner von den Anständi-
gen.“
„Was ist passiert?“
„Ein Krankenwagen hat vor dem Hof gehalten.
Ich dachte, Ben Hamid ginge es nicht gut. Ich habe
mich getäuscht.“ Er macht eine kurze Pause, damit
wir noch stärker die Ohren spitzen, und fährt fort:
„Was sie dann aus dem Krankenwagen gezogen
haben, das war keine Trage, sondern Ben Hamid
und eine sehr korpulente Dame. Beide schon übel
zugerichtet. Vier Kerle sind über sie hergefallen
und haben sie fertiggemacht.“
„Wie spät war es da?“
„Kurz vor dem Ruf zum El-Icha-Gebet.“
„20 Uhr“, präzisiert der Brigadier.
„Der Krankenwagen ist dann wieder weggefah-
ren. Als nächstes tauchte ein Mercedes auf. Mit
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zwei Typen, die gleich ausgestiegen sind. In Kla-
motten wie die Schaufensterpuppen auf den großen
Boulevards.“
„Wie sahen die zwei Typen aus?“
„Normal.“
„Was heißt das?“
„Der eine war mager und hatte einen Schnurr-
bart.“
„Und der andere?“
„Normal.“
„Mager und mit Schnurrbart?“
„Oh nein, er war so groß wie ein Reklameschild,
mit rasiertem Schädel und einem birnenförmigen
Ohrring am linken Ohr. Der andere, der Kleine, hat
irgendwas an seinen Schießkolben geschraubt und
dann die Laterne kaputtgeschossen. Danach habe
ich nichts mehr gesehen.“
Ich lege ihm anerkennend die Hand auf die
Schulter. Für ihn ist es, als hätte Algiers Schutzpatron ihn persönlich gesegnet. Ich habe das Gefühl,
das federleichte Männlein als ganzes in der hohlen
Hand fassen zu können.
„Die Autonummer des Mercedes haben Sie sich
nicht zufällig gemerkt?“
„Ich kann nicht
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