Commissaire-Llob 2 - Doppelweiß
Du kannst mir gar nichts
beibringen.“
„Da bin ich wohl leider nicht der einzige!“
Er schlägt das Buch auf Seite 5 auf und legt sei-
nen Finger auf eine Widmung: „Abderrahmane
Kaak in herzlicher Verbundenheit zugeeignet“,
liest er laut vor. „Statt blindlings drauflos zu suchen, könnte man doch mal dieser Spur nachge-
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hen?“
Der Direktor kritzelt rasch was auf einen Papier-
fetzen und hält ihn mir hin: „Seine Anschrift.“
Ich schau auf das Papier, das Buch, die beiden
mit ihrer Kunkelei offenbar höchst zufriedenen
Ganoven, auf die Bucht hinterm Fenster, auf meine
Schuhe, zur Decke und finde nirgendwo Raum,
auch nur ein Wort loszuwerden. Mit lockerer Hand
greife ich nach dem Papier und strecke mein Kinn
hoch. Kommt nicht in die Tüte, mir hier die ge-
ringste Blöße zu geben. Wahrer Adel besteht darin,
nicht aus der Haut zu fahren, wo simple Verach-
tung genügt.
Lino ist vorgefahren, um mich wie üblich abzuho-
len. Ich lasse ihn auf der Straße hupen. Er braucht eine Weile, bis er realisiert, daß mich heute nichts an meinen Schreibtisch zieht und ich allein sein
will.
In der Nacht hätte ich fast mein Kopfkissen er-
würgt. Und seit dem frühen Morgen schwanke ich,
so geschafft bin ich von dieser schlaflosen Nacht,
ob ich mich nun rasieren oder gleich unrasiert in
der Toilette versenken soll. Ich sehe so schwarz,
daß zehn Sonnen nicht dagegen anscheinen kön-
nen.
Draußen dampft die Stadt unter der Hitzeglocke
und schleppt sich verbissen voran. Hier dröhnen
dissonant die Motoren, dort heulen gellend die Si-
renen. Noch hat der Frühling sich nicht verab-
schiedet, da schmort Algier schon wie ein Hammel
am Spieß zwischen göttlicher Hölle und menschli-
chem Fegefeuer.
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Ich ersticke.
Es gibt Tage, da grollt man Gott und der Welt,
und die Republik, die kann einen mal.
Irgendwann bin ich es leid, wie ein Trottel auf
mein Spiegelbild zu starren, springe in meinen Zas-
tava und rase durch die Gegend, bis der Kühler fast den Geist aufgibt. Die Gluthitze zwingt mich zuletzt, vor einer Cafeteria zu stoppen. Ich habe mir gedacht, und ausnahmsweise kein Wortspiel im
Sinn gehabt, daß ein starker schwarzer Kaffee viel-
leicht Licht in meine finsteren Gedanken brächte.
Die Cafeteria ist überfüllt und völlig verraucht.
Obwohl vier Ventilatoren auf Hochtouren laufen,
fühlt man sich wie im Hammam. Eine Bruderschaft
notorischer Schreibtischschwänzer und abgedrehter
Weltverbesserer setzt das Universum neu zusam-
men, wie es ihnen gerade durch den Sinn schießt.
In den Ecken hängen gelangweilt ein paar Nutten
herum. Manche von ihnen rauchen, die Wange in
die hohle Hand gestützt. Andere versuchen vergeb-
lich, das Wild mit ihrem ausgebrannten Blick anzu-
locken, in dem noch jener Funke glüht, der einen
Spiegelreflex vom Glanz in den Augen einer
Schlange unterscheidet.
Ich setze mich an die Bar. Da der Zufall bei uns
immer macht, was ihm richtig erscheint, gerate ich
an Capitaine Berrah. Da sitzt er, auf dem Nachbar-
hocker, und starrt nachdenklich vor sich hin. Der
Ärmste! Sein Profil hat nicht mehr Relief als ein
Lineal. Kaum hat er mich bemerkt, beginnt er Aus-
schau nach Ewegh zu halten.
„Den habe ich im Zwinger gelassen!“ beruhige
ich ihn.
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„Umso besser.“
Er lächelt.
Der Anblick seiner Rochenvisage schneidet mir
ins Herz.
„Ist das heute dein freier Tag?“ frage ich ihn.
„Ich warte auf jemanden.“
Ich winke dem Kellner. Statt auf der Stelle anzu-
tanzen, dreht der mir ostentativ den Rücken zu.
„Ist hier wie zuhause“, weiht der Capitaine mich
ein. „Tee oder Kaffee?“
„Kaffee.“
Er zieht eine Kaffeekanne zu sich rüber, gießt ei-
ne Tasse voll und schiebt sie mir zu.
„Du siehst aus, als wenn du gerade aus einem
Misthaufen aufgetaucht wärst, Kommissar. Är-
ger?“
„Nichts Ernstes. Nur ein kleiner Durchhänger.“
Er bietet mir eine amerikanische Zigarette an und
hält mir sein Feuerzeug hin.
„Und deine Ermittlungen?“
„Nicht gerade ermutigend.“
„Wir sind auch nicht viel weiter. Wir waren kurz
davor, uns Zaddam Brahim zu schnappen. Du erin-
nerst dich? Der Afghanistanveteran. An der Er-
mordung von Ben Ouda beteiligt. Vor drei Tagen
hat ihn uns eine bewaffnete Gruppe vor unserer
Nase weggeschnappt. Gestern haben wir seine Lei-
che auf einer Mülldeponie gefunden. Sie haben ihn
lange gefoltert, ehe er hinüber war.“
„Ich wette, daß unter den
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