Commissaire-Llob 2 - Doppelweiß
noch an die tausend Meter hin, zerlumpt und
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ausgemergelt, bevor sie bei einem Anlegesteg end-
gültig den Geist aufgibt. Die Piste, die gegenüber
beginnt, bröckelt hügelwärts gefährlich ab und geht zuletzt in den Reifenspuren auf der Mole unter, wo
Autowracks ihre Innereien den Krebsen und Kra-
ken anpreisen.
Es ist zwölf Uhr mittags. Ein Fischer geistert ein-
sam auf seinem Fels herum, beim Anblick der Ge-
gend sträubt sich sogar einer Straßenkatze das Fell.
Im ausgedörrten Gras wird eine fliehende Eidechse
zum Ereignis. In der Brutkastenhitze stinkt es nach verwestem Hund.
Am Ende eines Ziegenpfads setzt sich ein Bara-
ckenwirrwarr stelzvogelartig dem Ansturm der
Wellen aus, die Mauern sind völlig abgeblättert
und die Fenster stärker vergittert als jeder Raub-
tierkäfig.
Tahar Brik haust in Baracke 28. Um dorthin zu
gelangen, muß man sich vorab bekreuzigen* [* Die französische Kolonialzeit hat im algerischen Alltag und im Sprachgebrauch tiefgreifende Spuren hinterlassen. So gebrauchen auch bekennende Muslime häufig christliche Symbole, Metaphern und Redewendungen.] , wegen eines vorsintflutlichen Stegs, der zu scheppern beginnt,
sobald nur eine Möwe drüberfliegt.
Lino reibt an einer rostigen Klingel. Es läutet
nirgendwo. Er klopft an eine Fensterscheibe. Als-
bald klirren die Messingringe einer Vorhangstange
und geben ein Frauengesicht frei, das so uner-
forschlich ist wie die Wege des Herrn*.
„Wir suchen Tahar“, bemerkt Lino.
Das Gesicht der Frau bleibt reglos, gleicht mehr
einem Bild als einem Menschen aus Fleisch und
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Blut.
Sie braucht eine Ewigkeit, um endlich tonlos
hervorzustoßen: „Gibt’s hier nicht.“
„Wir sind Freunde.“
Dieser Begriff löst nichts bei ihr aus. Sie sieht
aus wie eine, die so viele Hiebe eingesteckt hat,
daß sie nicht versteht, wieso man sie plötzlich nicht mehr prügelt.
„Wir sind von der Polizei.“
Sie hebt den Vorhang ein wenig an.
„Polizisten mit Mädchenzöpfen …? Geht nur
wieder. Hier gibt es keinen Tahar. Und mein Mann
wird auch gleich nach Hause kommen.“
„Achtung!“ warnt uns Ewegh von der anderen
Seite des Stegs. „Er türmt gerade durch den Hin-
terausgang.“
Wir hören, wie es in der Baracke rumort. Klein-
kinder fangen zu plärren an. Ich laufe zur Terrasse und komme genau in dem Moment an, als ein
Rüschengewand sich ins Leere stürzt, wenig später
ins Meer platscht und eine enorme Fontäne auf-
spritzen läßt. Ich sause eine hinfällige Treppe hinunter und wate durch die trüben Ergüsse eines Ab-
wasserkanals. Ewegh seinerseits spurtet mit Rie-
sensprüngen zum Strand hinunter, klettert über
einen Kranz von Felsen und nimmt den Flüchten-
den beim Auftauchen aus den Fluten in Empfang.
„Nur keine Panik, mein Junge. Wir wollen dir
nichts Böses.“
Tahar Brik hebt die Hände über den Kopf. Seine
von der Luft aufgeblähte Gandura schwimmt wie
ein großer Krapfen um ihn herum.
„Wir sind von der Polizei.“
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Tahar beruhigt sich ein wenig. Er bleibt einen
Moment sinnierend im Wasser stehen, dann klettert
er auf den Felsen, stößt den Arm des Targi beiseite und geht die Treppe hoch. Ohne ein Wort. Er wirft
mir einen vernichtenden Blick aus rabenschwarzen
Augen zu, schiebt Lino beiseite und tritt den
Heimweg an.
Wir folgen ihm.
Er hat sich eine Decke übergeworfen und sitzt
jetzt auf einer Bank. Sein Gesicht ist vor Wut ganz entstellt.
„Wenn ihr mich gefunden habt“, grollt er, „dann
finden mich auch die anderen. Der Staatsanwalt ist
der einzige, der meinen Unterschlupf kennt.“
„Der hat uns ja auch deine Adresse gegeben.“
Er spuckt vehement aus: „Sind alle gleich!“
Tahar ist klein und braunhäutig und so drahtig
wie ein Nagel. Sein Kraushaar ist an den Schläfen
weiß. Er muß so um die Vierzig sein und eine
Menge Gründe haben, warum seine Augen wie
Kohlen glühen.
„Er hätte mich auch vorladen können. Jetzt wer-
den sich die Nachbarn Fragen stellen. Ist denen
meine Sicherheit eigentlich völlig schnuppe oder
was? Ich habe bereut und mich der Justiz zur Ver-
fügung gestellt. Es besteht nicht die geringste
Fluchtgefahr.“
„Okay, wir haben Mist gebaut. Versuch dich ab-
zuregen.“
„Und was sonst noch?“
Er schneuzt sich ungebührlich in die Decke.
Im Nachbarzimmer haben die Kinder aufgehört
zu schreien. Ihr Schweigen ist bedrückend.
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„Wir sind hinter Gaïd her und haben keine Zeit
zu
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