Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Commissaire-Llob 2 - Doppelweiß

Commissaire-Llob 2 - Doppelweiß

Titel: Commissaire-Llob 2 - Doppelweiß Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Yasmina Khadra
Vom Netzwerk:
noch an die tausend Meter hin, zerlumpt und
    118
    ausgemergelt, bevor sie bei einem Anlegesteg end-
    gültig den Geist aufgibt. Die Piste, die gegenüber
    beginnt, bröckelt hügelwärts gefährlich ab und geht zuletzt in den Reifenspuren auf der Mole unter, wo
    Autowracks ihre Innereien den Krebsen und Kra-
    ken anpreisen.
    Es ist zwölf Uhr mittags. Ein Fischer geistert ein-
    sam auf seinem Fels herum, beim Anblick der Ge-
    gend sträubt sich sogar einer Straßenkatze das Fell.
    Im ausgedörrten Gras wird eine fliehende Eidechse
    zum Ereignis. In der Brutkastenhitze stinkt es nach verwestem Hund.
    Am Ende eines Ziegenpfads setzt sich ein Bara-
    ckenwirrwarr stelzvogelartig dem Ansturm der
    Wellen aus, die Mauern sind völlig abgeblättert
    und die Fenster stärker vergittert als jeder Raub-
    tierkäfig.
    Tahar Brik haust in Baracke 28. Um dorthin zu
    gelangen, muß man sich vorab bekreuzigen* [* Die französische Kolonialzeit hat im algerischen Alltag und im Sprachgebrauch tiefgreifende Spuren hinterlassen. So gebrauchen auch bekennende Muslime häufig christliche Symbole, Metaphern und Redewendungen.] , wegen eines vorsintflutlichen Stegs, der zu scheppern beginnt,
    sobald nur eine Möwe drüberfliegt.
    Lino reibt an einer rostigen Klingel. Es läutet
    nirgendwo. Er klopft an eine Fensterscheibe. Als-
    bald klirren die Messingringe einer Vorhangstange
    und geben ein Frauengesicht frei, das so uner-
    forschlich ist wie die Wege des Herrn*.
    „Wir suchen Tahar“, bemerkt Lino.
    Das Gesicht der Frau bleibt reglos, gleicht mehr
    einem Bild als einem Menschen aus Fleisch und

    119
    Blut.
    Sie braucht eine Ewigkeit, um endlich tonlos
    hervorzustoßen: „Gibt’s hier nicht.“
    „Wir sind Freunde.“
    Dieser Begriff löst nichts bei ihr aus. Sie sieht
    aus wie eine, die so viele Hiebe eingesteckt hat,
    daß sie nicht versteht, wieso man sie plötzlich nicht mehr prügelt.
    „Wir sind von der Polizei.“
    Sie hebt den Vorhang ein wenig an.
    „Polizisten mit Mädchenzöpfen …? Geht nur
    wieder. Hier gibt es keinen Tahar. Und mein Mann
    wird auch gleich nach Hause kommen.“
    „Achtung!“ warnt uns Ewegh von der anderen
    Seite des Stegs. „Er türmt gerade durch den Hin-
    terausgang.“
    Wir hören, wie es in der Baracke rumort. Klein-
    kinder fangen zu plärren an. Ich laufe zur Terrasse und komme genau in dem Moment an, als ein
    Rüschengewand sich ins Leere stürzt, wenig später
    ins Meer platscht und eine enorme Fontäne auf-
    spritzen läßt. Ich sause eine hinfällige Treppe hinunter und wate durch die trüben Ergüsse eines Ab-
    wasserkanals. Ewegh seinerseits spurtet mit Rie-
    sensprüngen zum Strand hinunter, klettert über
    einen Kranz von Felsen und nimmt den Flüchten-
    den beim Auftauchen aus den Fluten in Empfang.
    „Nur keine Panik, mein Junge. Wir wollen dir
    nichts Böses.“
    Tahar Brik hebt die Hände über den Kopf. Seine
    von der Luft aufgeblähte Gandura schwimmt wie
    ein großer Krapfen um ihn herum.
    „Wir sind von der Polizei.“
    120
    Tahar beruhigt sich ein wenig. Er bleibt einen
    Moment sinnierend im Wasser stehen, dann klettert
    er auf den Felsen, stößt den Arm des Targi beiseite und geht die Treppe hoch. Ohne ein Wort. Er wirft
    mir einen vernichtenden Blick aus rabenschwarzen
    Augen zu, schiebt Lino beiseite und tritt den
    Heimweg an.
    Wir folgen ihm.
    Er hat sich eine Decke übergeworfen und sitzt
    jetzt auf einer Bank. Sein Gesicht ist vor Wut ganz entstellt.
    „Wenn ihr mich gefunden habt“, grollt er, „dann
    finden mich auch die anderen. Der Staatsanwalt ist
    der einzige, der meinen Unterschlupf kennt.“
    „Der hat uns ja auch deine Adresse gegeben.“
    Er spuckt vehement aus: „Sind alle gleich!“
    Tahar ist klein und braunhäutig und so drahtig
    wie ein Nagel. Sein Kraushaar ist an den Schläfen
    weiß. Er muß so um die Vierzig sein und eine
    Menge Gründe haben, warum seine Augen wie
    Kohlen glühen.
    „Er hätte mich auch vorladen können. Jetzt wer-
    den sich die Nachbarn Fragen stellen. Ist denen
    meine Sicherheit eigentlich völlig schnuppe oder
    was? Ich habe bereut und mich der Justiz zur Ver-
    fügung gestellt. Es besteht nicht die geringste
    Fluchtgefahr.“
    „Okay, wir haben Mist gebaut. Versuch dich ab-
    zuregen.“
    „Und was sonst noch?“
    Er schneuzt sich ungebührlich in die Decke.
    Im Nachbarzimmer haben die Kinder aufgehört
    zu schreien. Ihr Schweigen ist bedrückend.

    121
    „Wir sind hinter Gaïd her und haben keine Zeit
    zu

Weitere Kostenlose Bücher