Commissaire-Llob 2 - Doppelweiß
und es bleibt nichts als die Befriedigung zurück, die man aus einer gut
gelernten Lektion bezieht.
Dahmane Faïd begreift, daß ich inzwischen er-
wachsen bin. Er wird nervös. Und nur wegen die-
ser winzigen, kaum merklichen Schwäche, die er
da durchscheinen läßt, bricht es aus mir heraus:
„Wenn Sie so herumschreien, Dahmane Faïd, be-
weist das letztlich nur, daß Sie, welchen Gott auch immer Sie inkarnieren, innerlich so hohl wie ein
Dudelsack sind.“
Sein Adamsapfel verklemmt sich in Höhe seines
Kinns. Ich setze seinem Blick nach und halte ihn
genau in dem Moment fest, als er zum zweiten
109
Einschüchterungsversuch ansetzen will. Unsere
Atemzüge vermischen sich. Man könnte den Staub
auf den Fliesen knirschen hören.
Ich drehe mich um und gehe davon – in der Ge-
wißheit, wenigstens einmal im Leben den Teufel
im richtigen Moment am Schwanz gezogen zu ha-
ben.
12
Der Belvedere ist ein fantastischer Ausflugsort.
Früher kamen die Liebespärchen von den angese-
hensten Gymnasien der Stadt in ihren Cabrios
hierher, um aufs Meer hinaus zu blicken und ihre
Unterhöschen zu tauschen. Man konnte sie von
weitem an ihren bunten, im Wind knisternden Tü-
chern und ihrem girrenden Lachen erkennen. Und
um sie herum, umgeben von bunten Lichtern und
Vogelgezwitscher, führten Hunde ihre Herrchen
aus, hingen alternde Damen am Arm ihrer Gigolos,
umschwärmten ganze Sippen an den Wochenenden
die weißen Tische der Milchbars. Die Tage waren
so flachsblond wie der Sommer. Die Mädchen duf-
teten nach Jasmin, die Augen der Kinder strahlten
wie tausend Juwelen.
Heute hat der Belvedere nur wenig von seiner
Pracht eingebüßt. Nach dreijähriger Abstinenz sind
die Turteltäubchen wieder da, doch ihr Tauschhan-
del ist etwas zurückgegangen. Und die Sippschaf-
ten, die sich noch auf die Esplanade wagen, schau-
110
en zweimal, wohin sie ihre Füße setzen.
Tief unten schiebt die Stadt ihre Menschlein wie
Mosaiksteine hin und her. Unter der Hitzeglocke
wirkt sie wie eine immense Baustelle. Jenseits der
Straße, die zum Flughafen führt, plätschert noncha-
lant das Mittelmeer. Die Schiffe am Horizont ver-
treiben sich die Zeit, indem sie ihre Anker nach
dicken Fischen auswerfen.
Doch das alles spielt sich hinter meinem Rücken
ab. Ich bin nicht zum Belvedere gekommen, um
die guten alten Zeiten aufleben zu lassen. Heute
früh hat ein anonymer Anrufer uns auf ein verdäch-
tiges Fahrzeug in der Tiefgarage B hingewiesen.
Wir haben zwei Stunden gebraucht, um die Ört-
lichkeiten von Menschen und Autos zu räumen.
Das fragliche Fahrzeug ist ein Taxi. Es steht ne-
ben einem Pfeiler und hat einen Platten. Lino und
ich haben uns hinter einer Betonrampe am anderen
Ende des Parkdecks verbarrikadiert. Wir beobach-
ten einen Trupp Bombenentschärfer, die mit ver-
schmierten Händen und chirurgischen Griffen an
der Kiste herumwerkeln.
Sie schaffen es, eine Tür zu öffnen, dann die Mo-
torhaube. Keine Bombe. Doch dafür im Koffer-
raum eine Leiche im fortgeschrittenen Stadium der
Verwesung. Trotz des Gestanks und der Folterspu-
ren, die der Körper aufweist, identifizieren wir ihn sofort. Blidi Kamel, dreißig Jahre alt, verheiratet, vier Kinder, ehemals Trödler in El Harrach. Beteiligt an den Morden an Ben Ouda und Professor
Abad.
Den Rest erledigt zuverlässig das „arabische Te-
lefon“, die hiesige Buschtrommel: Kaum im Büro,
111
stolpere ich schon über Capitaine Berrah. Er hat
noch vor dem Direktor von unserem Fund läuten
gehört. Entgegenkommend rafft er sich aus dem
Sessel hoch und streckt mir die Hand hin.
„Sieh an, die Neuigkeiten verbreiten sich ja
schnell“, sage ich.
„Auch der Geheimdienst hat einen Glatzkopf in
seinen Reihen … Ist jetzt schon der dritte Tote von Gaïds Leuten innerhalb von dreizehn Tagen. Wenn
das so weitergeht, geht uns bald der Nachschub
aus.“
Ich bitte ihn, sich wieder zu setzen, und schnappe
mir den Nachbarstuhl.
„Und alles nur, weil es uns untersagt ist, die Ver-
dächtigen mit dem Schweißbrenner zu bearbeiten.“
Der Capitaine bietet mir eine Zigarette an und
vergißt, sein Feuerzeug anzuknipsen. Er ist mäch-
tig gealtert. Tiefe Ringe um die Augen und Ge-
sichtszüge, in die der Schlafmangel seine Spuren
gegraben hat. Er greift nach einer Tasche, die ne-
ben seinen Füßen liegt, und zeigt mir das Foto ei-
ner dreckigen Visage mit einem Häftlingsschild
vor der Brust.
„Das ist der Kerl,
Weitere Kostenlose Bücher