Commissaire-Llob 3 - Herbst der Chimären
Funktionär, bestenfalls eine Handvoll Groschen wert. Du machst deinen Job und ab in die Federn, aus und basta. Ich sage ja nicht, daß es dich nichts anginge, oder daß man noch nicht mal den kleinen Finger rühren sollte. Ich sage nur, daß es nicht ratsam ist, über den eigenen Hintern hinaus zu furzen. Worauf es ankommt, ist, daß man keine krummen Dinger dreht. Und du, hast du je ein krummes Ding gedreht? Nie im Leben. Wenn die anderen es tun, was geht’s dich an? Vor dem Herrgott steht jeder mit seinem Gewissen allein.«
»Sid Ali, um Himmels willen, siehst du nicht, daß ich esse?«
»Ißt du neuerdings vielleicht mit den Ohren? Und außerdem, wie soll ich bitte schön den Mund halten, wenn du die ganze Zeit über kein Wort von dir gibst?«
Lino hat seinen Zopf abgeschnitten. Er hat sich die Schläfen ausrasieren und die Strähne auf der Stirn eindrehen lassen. Zum Ausgleich hat er seit unserem letzten Treffen die Bartstoppeln stehen lassen. Mit seinem Tropenhemd, seiner an den Knien abgewetzten Jeans und seinen falschen Markenturnschuhen sieht er aus wie ein Luppy vom Lande, der frisch in der Großstadt eingetroffen ist.
Er winkt lässig zu Sid Ali hinüber und macht mir Zeichen, zu ihm zu kommen.
Hinter ihm steht Ewegh Seddig und hat die Straße fest im Blick. Seine Kolossalstatur verdeckt fast das Auto. Die Arme über der Brust verschränkt, die Beine fest in den Boden gerammt, beherrscht er den Gehweg so undurchdringlich wie seine schwarze Sonnenbrille. Einmal habe ich ihn gefragt, warum er nachts eine Brille trägt, die eigentlich als Schutz vor der Sonne gedacht ist. Um die anderen vor seinem Blick zu schützen, hat er gesagt.
Ich wische mir Mund und Hände mit einem Lappen ab und sprinte zum Auto. Lino setzt sich ans Steuer. Eweghs Blick sucht die Gegend ab, ehe er sich auf die Rückbank zwängt.
»Wie geht’s denn so?« frage ich ihn.
»Hmmm …«
Lino chauffiert uns bis hinter Bab El-Oued, vorbei am Platz des 1. Mai, und rast dann die Küstenstraße entlang, eine Hand am Steuer, die andere im offenen Fenster. Er schweigt. Ab und zu, um das Schweigen zu überwinden, tut er so, als interessiere er sich für die Gaffer am Straßenrand, fixiert sie auch noch im Rückspiegel und hat sie ein paar Meter weiter schon wieder vergessen.
Lino ist gar nicht gut drauf.
Wir kommen zu einem erleuchteten Teesalon in der Nähe vom Märtyrerdenkmal. Am Fuß des Hügels leuchtet Algier nach Kräften, um die Finsternis daran zu hindern, sich definitiv in den Köpfen einzunisten.
Wir suchen uns einen Ecktisch, von dem aus wir gleichzeitig den Raum und den Parkplatz mit unserem Auto im Blick haben. Ein adretter Kellner fragt nach unseren Wünschen. Lino bestellt dreimal Orangensaft und drei Schoko-Croissants.
»Wie wär’s, wenn du endlich Schluß machst mit deinem Theater?« schlage ich entnervt vor.
Lino zieht den Spaß in die Länge. Er haucht hingebungsvoll auf seine Brillengläser, reibt sie am Hemd sauber und schiebt sich das Gestell über die Augenbrauen.
»Mir geht’s nicht gut.«
»Mir auch nicht.«
Der Kellner kommt mit einem Tablett zurück und teilt Gebäck und Getränke aus, wobei er sich von der Statur des Targi sichtlich beeindruckt zeigt. Lino beruhigt ihn: »Der beißt nicht.«
Der Kellner schüttelt den Kopf und zieht ab, ohne auf seinem Trinkgeld zu beharren.
Lino verkündet im Tonfall tiefsten Abscheus: »Wir haben den Typen identifiziert, der dir nachgestellt hat. Er hieß Farhat Nabilou.«
»Und? Paßt dir sein Name nicht?«
»Seine Akte paßt mir nicht. So nichtssagend wie eine offizielle Ansprache. Ich hatte gehofft, wir würden ein paar Einzelheiten erfahren, um über ihn an seine Hintermänner heranzukommen. Nichts. Farhat Nabilou, am 27. Februar 1965 in Algier geboren. Trödler in El Harrach. Keinerlei politische Aktivitäten. Kein Strafmandat. Keinerlei Kontakte. Der perfekte Einzelgänger. Hallo, wie geht’s und tschüß. Die Nachbarn wissen fast nichts über ihn. Hat seinen Laden täglich zur selben Zeit dicht gemacht und ist gleich danach ab nach Hause.«
»Er war doch bewaffnet …«
»Genau das ist der Punkt. Das Schießeisen hat einem Brigadier gehört, der vor zwei Jahren in Sidi Moussa ermordet wurde. Für die Kollegen vom Labor ist das sonnenklar. Und es ist genau die Waffe, mit der Anfang des Monats drei Einwohner von Rouiba umgelegt wurden.«
»Warum?«
»Hatten keine Lust mehr, sich weiter erpressen zu lassen.«
»Warst du in Rouiba?«
»Mit Ewegh,
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