Commissaire Mazan und die Erben des Marquis: Kriminalroman (Knaur HC) (German Edition)
es spüren.«
»Dann wurden dort Menschen gequält und getötet?«, hakte er nach und dachte an Manons tote Freundin. Doch Morgaine schüttelte den Kopf.
»Ganz so war es nicht. Zwar quälte der Marquis auch Menschen, vor allem Frauen. Doch darin bestand nicht seine wahre Macht. Er belog die Frauen und versprach ihnen Freiheit. Deswegen folgten sie ihm und taten alles, was er wollte.«
»Woher weißt du das alles?«
»Die alten Menschen, die dort einst wohnten, haben sich die Bücher des Marquis gegenseitig vorgelesen. Es hat sie verändert. Der Inhalt der Bücher lockte das Niederträchtige in ihnen hervor. So, wie auch das Haus in manchen Seelen das Böse erst hervorlockt. Nachdem die Alten fort waren, kamen immer wieder andere Menschen, die diesen Marquis bewundern. Einer von ihnen muss der sein, den du suchst. Du musst ihn finden und aufhalten, Commissaire.«
Nach dieser langen Rede ließ Morgaine erschöpft den Kopf auf die Pfoten sinken.
Mazan begegnete Manons Blick. Die Kätzin sah ihn voller Vertrauen an.
»Eines verstehe ich noch nicht«, wandte er sich ein letztes Mal an Morgaine. »Warum tötet er Katzen? Warum legt er im Garten des verbotenen Hauses Gift aus?«
»Das weiß ich nicht, Commissaire Mazan«, antwortete Morgaine mit müder Stimme. »Aber vielleicht gibt es ja zwei Mörder. Einen, der Frauen tötet. Und einen, der die Katzen tötet.«
»Glaubst du, sie hat recht?«, fragte Manon, als sie wieder auf dem Dach waren. Morgaine war einfach eingeschlafen.
»Ich weiß nicht«, gab Mazan zurück. »Aber das, was ich im verbotenen Haus gespürt habe, hat nicht nur Julie getötet.« Er überlegte, dann sprach er weiter: »Es war das gleiche Flügelwesen, das auch dich töten wollte.«
Halbwegs erwartete er, dass sie nun, da er sie direkt auf ihr furchtbares Erlebnis angesprochen hatte, erschreckt davonstieben würde. Doch sie blieb bei ihm.
»Das alles ist zu groß für uns«, sagte sie nach einer Weile. »Wir sind nur Katzen. Die Menschen können uns mit einem Fußtritt besiegen. Was können wir gegen so ein Ungeheuer ausrichten?«
Im Grunde hatte sie recht. Vielleicht wäre es wirklich das Klügste, sich vor dem unbekannten Flügelmann zu verbergen und darauf zu warten, dass die Polizisten ihn zur Strecke brachten. Doch leider hatte die Sache einen Haken.
»Wir wissen jetzt, dass der Flügelmann sich sogar vor uns verbergen kann«, erklärte er Manon. »Er versteckt sich einfach so tief in einer Seele, dass er unfühlbar ist. Umso mehr kann er das gegenüber den Menschen. Du weißt doch, wie schwach ihre Sinne sind. Lieutenant Zadira hat mir erzählt, dass er auch schon andere Frauen getötet hat. Und andere Katzen. Wenn wir nichts unternehmen, wird er es wieder tun. Und es wird wieder eine Julie geben.« Er bedachte Manon mit einem sanften Blick. »Und vielleicht wird die nächste Manon weniger Glück haben.«
War es das Sonnenlicht, das diese Reflexe in ihre Augen zauberte, oder kam das Glitzern, das er jetzt wahrnahm, aus einer anderen Quelle?
»Wir haben vielleicht die Möglichkeit, das zu verhindern. Und darum sollten wir es auch tun«, fügte er hinzu.
»Also gut«, meinte sie. »Was sollen wir tun?«
»Sag Louise Bescheid und Rocky. Ihr müsst alle Katzen zusammenrufen.«
Er dachte daran, was Morgaine ihnen erzählt hatte: dass die Kraft des Flügelmannes anwachsen und wieder schwächer werden konnte. Sie mussten bereit sein, bevor der Unbekannte das nächste Mal seine Schwingen ausbreitete.
»Wir treffen uns heute Abend beim Museum.«
»Und was willst du währenddessen tun?«
»Ich will zum Château.«
Manon zeigte ihm den Weg. »Pass auf dich auf«, sagte sie noch, bevor sie sich in die andere Richtung aufmachte. Er sah ihr nach, wie sie leichtfüßig auf dem Dachfirst entlanglief. Bevor sie zum Sprung aufs Nachbardach ansetzte, wandte sie sich noch einmal um.
»Hey, Commissaire Mazan!«, rief sie.
»Ja?«
»Danke, dass du mich aus der Tonne gerettet hast.«
Ehe er antworten konnte, war sie schon verschwunden.
Wesentlich langsamer, weil vorsichtiger ohne Manons Führung, suchte er nun seinen Weg. Dennoch freute er sich, das Reich über den Dächern entdeckt zu haben. Irgendwann würde er sich hier oben bestimmt genauso tänzerisch bewegen können wie die schöne, ingwerfarbene Kätzin. Und trotz der Bedrohung, die auf der Stadt lastete, hatte er das Gefühl, zum richtigen Zeitpunkt am richtigen Ort zu sein. Er hatte nicht nur einen Menschen gefunden, dem er
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