Commissaire Mazan und die Erben des Marquis: Kriminalroman (Knaur HC) (German Edition)
ihm das Fell.
So viel Feindseligkeit. So viel Hass.
Und dann entdeckte er etwas, das er nicht erwartet hatte. Weiter hinten, unten an der Wand und kaum zu entdecken im dichten Efeu, war ein winziger Durchlass. Ein Kellerfenster, blind vor Schmutz und voller Spinnweben. Und es stand offen.
Commissaire Mazan schnupperte sich heran. Sollte er das bei seinem ersten Besuch übersehen haben? Unwahrscheinlich. Er nahm an, dass die Männer in den weißen Knisteroveralls, die Haus und Garten durchsucht hatten, es geöffnet und später dann vergessen hatten, es wieder zu schließen. Wie Menschen eben so waren.
Das war seine Chance, in das Haus zu gelangen, mehr herauszufinden …
Er zögerte. Sollte er nicht besser hier im Garten auf die Katzen warten?
Aber wie er seine Artgenossen kannte, würde es noch dauern, bis sie kämen. Hier ein Spielchen, dann ein Schläfchen, dort ein Fresschen.
Voller Neugier spähte er in den dunklen Keller.
Kisten, Holzlatten, eine alte Wanne, Eimer. Der Geruch von vergossenem Wein und Fäulnis. Mäuse?
Jaaah! Mäuse!
Aber: Würde er auch wieder herauskommen, wenn er erst mal drin war?
Der nächste Absatz befand sich knapp zwei Körperlängen unter dem Kellerfenster. Kein Problem, er konnte dreimal so hoch springen, wie er lang war. Noch einmal nahm er Witterung auf. Nahm keine akute Gefahr wahr. Und war mit einem Satz unten.
Er brauchte ein Weilchen, um den Weg zur Treppe zu finden. An deren oberen Ende stand die Tür offen, und er lugte in einen Flur. Dort war die Haustür. Zur anderen Seite, gleich neben der Kellertür, lag die Küche, wie Mazan an dem Kühlschrank erkannte.
Eine Fülle von Sinneseindrücken überflutete ihn.
EssenChemieMenschenUrinSchweißParfümFrau … Frau!
Ja! Die Frau mit den hellen Haaren aus dem Château. Ihre Geruchsspur war die erste, die er identifizieren konnte. Kein Wunder, er hatte lange genug auf ihrem Schoß gesessen. Wie hatten die Männer sie genannt?
Victorine. Vic.
Während er sich konzentriert durch den Flur vortastete, konnte er nach und nach auch andere Gerüche wahrnehmen und zuordnen. Ja, das waren die Männer vom Vortag, die mit den Overalls, der mit dem Schnauzbart, der wie der Chef des Rudels mit den weißen Anzügen gewirkt hatte. Andere blieben diffus. Doch da: Zadira?
Während wie aus einem Nebel schattengleiche Gesichter auftauchten und wieder verschwanden, ertastete Mazan mit den Nüstern und Schnurrhaaren feinste Luftbewegungen, die sich um die Einrichtungsgegenstände herum bildeten. Auf diese Weise prägte er sich die Beschaffenheit der Räumlichkeiten ein, um sich jederzeit, auch im Dunkeln, darin bewegen zu können.
Eine Treppe, die vom Flur nach oben führte. Eine Kommode stand darunter. Über diese wäre er mit zwei Sätzen schon halb oben. Zunächst aber folgte er weiter dem Flur, linste um den Türrahmen herum. Ein großer Raum. Tisch, Stühle, die noch nach jenen rochen, die auf ihnen gesessen hatten. Ein Kamin, Sessel und eine geschlossene Tür, die er als diejenige erkannte, die in den Garten führte.
Dann traf es ihn wie ein Tritt.
Schattenflügel!
Sofort war ihm klar, dass deren Spur die ganze Zeit da gewesen war. Tief verborgen unter all den anderen, deutlicheren Gerüchen erkannte Mazan die Präsenz der todbringenden Macht. Sie ließ sich keiner der anderen Menschenspuren zuordnen. Oder doch? Es gab nur einen Weg, das herauszufinden.
Ein riskanter Weg, den er zuletzt eingeschlagen hatte, als er draußen vor den Toren der Stadt saß, um zu erkunden, was ihn in der Stadt erwartete.
Er lauschte. Doch, das Haus war leer, die Türen verschlossen.
Der sicherste Platz schien ihm seitlich der Kommode zu sein, wo er genügend Deckung hatte. Dann, dicht an den Boden gekauert, öffnete Commissaire Mazan sein Maul und begann zu flehmen. Diesmal wollte er sich nicht an einen anderen Ort katapultieren. Diesmal wollte er die sich kreuzenden, überlagernden und die fast aufgelösten Spuren zu ihrem Ursprung zurückverfolgen. Er wollte dorthin gehen, wo sie alle zusammen entstanden waren.
In die Vergangenheit.
Das hatte er noch nie gemacht.
Mit jedem hechelnden Atemzug strömten mehr Informationen in Mazans Wahrnehmung. Die Bilder von dem, was in diesem Salon geschehen war, wurden präziser, verdichteten sich.
Bis er den Punkt erreichte, da sein Geist zum Sprung bereit war. Er konzentrierte sich auf die Spur der Frau aus dem Château, auf Vic. Es war, als strömte ihr Duft durch ihn hindurch. Diesem Duft musste er
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