Commissario Montalbano 02 - Der Hund aus Terracotta
anderen,
sondern mehr als die anderen. Ich will offen zu dir sein, weil
du mich dazu bringst, über mein Verhalten dir gegenüber
nachzudenken. Vielleicht ist es das, was mich am meisten
stört.«
»Dann sollte ich dir also den Gefallen tun und langsam
verblöden?«
»Wenn du Streit suchst, den kannst du haben. Das wollte
ich nicht sagen. Weißt du, ich habe mit der Zeit gemerkt, daß
ich eine Art einsamer Wolf bin, entschuldige bitte diesen
bescheuerten Ausdruck, der vielleicht auch gar nicht stimmt,
ich jage schon gern zusammen mit den anderen, aber
organisieren will ich die Jagd allein. Das ist für mich die
unbedingte Voraussetzung, damit meine Gehirnzellen richtig
funktionieren. Eine intelligente Bemerkung von jemand
anderem zieht mich runter, entmutigt mich vielleicht für einen
ganzen Tag, und es kann passieren, daß ich meine Gedanken
nicht mehr auf die Reihe kriege.«
»Ich verstehe«, sagte Augello. »Das heißt, ich hatte es
schon verstanden, aber ich wollte, daß du es selber sagst, daß
du es bestätigst. Also, hiermit sage ich dir ohne Groll und
Ressentiments, daß ich heute noch an den Questore schreibe
und ihn um meine Versetzung bitte.«
Montalbano sah ihn an, trat zu ihm, beugte sich vor und
legte ihm die Hände auf die Schultern.
»Glaubst du mir, wenn ich dir sage, daß du mir damit sehr
weh tun würdest?«
»Scheiße!« explodierte Augello. »Du verlangst wirklich
alles von den anderen! Was bist du nur für ein Mensch? Erst
behandelst du mich wie ein Stück Scheiße, und jetzt soll ich
auch noch Mitleid mit dir haben? Weißt du eigentlich, was für
ein unglaublicher Egoist du bist?«
»Ich weiß es«, sagte Montalbano.
»Darf ich Ihnen Ragioniere Burruano vorstellen, der
netterweise bereit war mitzukommen?« sagte Preside Burgio,
der sich richtig in Schale geworfen hatte.
»Bitte, nehmen Sie Platz«, sagte Montalbano und zeigte
auf die beiden kleinen alten Sessel, die in einer Ecke des
Zimmers für angesehene Besucher bereitstanden. Er selbst
nahm sich einen der beiden Stühle, die vor dem Schreibtisch
standen und normalerweise für weniger angesehene Besucher
bestimmt waren.
»Anscheinend fällt mir in diesen Tagen die Aufgabe zu,
das, was man im Fernsehen hört, zu korrigieren oder
wenigstens zu präzisieren«, begann der Preside.
»Bitte, korrigieren und präzisieren Sie«, sagte
Montalbano lächelnd.
»Ich und der Ragioniere sind fast gleichaltrig, er ist nur
vier Jahre älter, und wir erinnern uns an dieselben Dinge.«
Montalbano hörte einen gewissen Stolz aus der Stimme
des Preside heraus. Er hatte auch allen Grund dazu: Der
zittrige Burruano mit seinem trüben Blick wirkte mindestens
zehn Jahre älter als sein Freund.
»Sehen Sie, gleich nach der Sendung in ‚Televigàta’, in
der das Innere der Grotte gezeigt wurde, in der man die...«
»Entschuldigen Sie, wenn ich Sie unterbreche. Neulich
sprachen Sie von der Grotte mit den Waffen, aber die andere
erwähnten Sie nicht. Warum?«
»Aus dem einfachen Grund, weil ich nichts von ihrer
Existenz wußte, Lillo hat nie von ihr gesprochen. Jedenfalls
habe ich sofort nach der Sendung Ragioniere Burruano
angerufen, um mich bestätigt zu wissen, weil ich die
Hundestatue schon einmal gesehen hatte.«
Der Hund! Deswegen war er in seinem Alptraum
vorgekommen, der Preside hatte ihn ja am Telefon erwähnt.
Ein Gefühl kindlicher Dankbarkeit ergriff ihn.
»Möchten Sie einen Kaffee, ja, einen Kaffee? In der Bar
nebenan ist er sehr gut.«
Die beiden schüttelten gleichzeitig den Kopf.
»Limonade? Cola? Bier?«
Er war kurz davor, ihnen zehntausend Lire pro Kopf
anzubieten, sollten sie nicht zu irgendwas ja sagen.
»Nein, danke, das ist nichts für uns. Das Alter...«, sagte
der Preside.
»Dann sprechen Sie bitte.«
»Der Ragioniere soll erzählen.«
»Von Februar 1941 bis Juli 1943«, fing Burruano an,
»war ich, noch sehr jung, Bürgermeister von Vigàta. Sei es,
weil dem Faschismus die Jugend schmeckte – jedenfalls hat er
sie alle verschlungen, gegrillt oder tiefgefroren –, sei es, weil
es im Dorf nur noch Alte, Frauen und Kinder gab, alle anderen
waren an der Front. Da konnte ich nicht hin, weil ich schwach
auf der Brust war, was auch wirklich stimmte.«
»Und ich war zu jung, um an die Front zu gehen«, warf
der Preside ein, um eventuellen Mißverständnissen
vorzubeugen.
»Es war eine schreckliche Zeit. Die Engländer und die
Amerikaner bombardierten uns
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