Commissario Montalbano 02 - Der Hund aus Terracotta
gehört.«
»Sind Sie in der Lage, sie zu identifizieren?«
»Nein. Ich rufe an, weil im Fernsehen etwas nur flüchtig
erwähnt wurde, das für Sie jedoch interessant sein könnte. Es
geht um den Hund aus Terracotta. Wenn Sie nichts dagegen
haben, komme ich morgen vormittag mit Ragioniere
Burruano, dem Buchhalter, ins Büro, kennen Sie ihn?«
»Vom Sehen. Paßt es Ihnen um zehn?«
»Hier«, sagte Livia. »Ich will es hier machen und zwar
sofort.«
Sie befanden sich in einer Art Park mit dichtem
Baumbestand. Zu ihren Füßen krochen Tausende von
Schnecken verschiedenster Art, vignarole, attuppateddri,
vavaluci, scataddrizzi, crastuna.
»Warum denn ausgerechnet hier? Komm, wir gehen zum
Auto zurück, in fünf Minuten sind wir daheim, hier kommen
doch Leute vorbei.«
»Keine Widerrede, du Schisser«, sagte Livia, griff nach
seinem Gürtel und versuchte ungeschickt, ihn aufzuschnallen.
»Laß mich das machen«, sagte er.
Livia war im Nu ausgezogen, während er noch in Hose
und Unterhose steckte.
Sie ist es gewohnt, sich schnell auszuziehen, dachte er in
einem Anfall sizilianischer Eifersucht. Livia warf sich ins
feuchte Gras, machte die Beine breit, streichelte ihre Brüste,
und er hörte das eklige Geräusch, als Dutzende Schnecken von
ihrem Körper zerquetscht wurden.
»Los, mach schon.«
Montalbano hatte es endlich geschafft, sich auszuziehen,
und zitterte vor Kälte. Mittlerweile krochen zwei oder drei
vavaluci über Livias Körper.
»Was willst du denn damit?« fragte sie kritisch mit einem
Blick auf seinen Schwanz. Sie erbarmte sich seiner und kniete
sich hin, nahm ihn in die Hand, streichelte ihn, steckte ihn in
den Mund. Als er bereit war, legte sie sich wieder hin.
»Los, fick mich, aber anständig!«
Warum ist sie denn plötzlich so ordinär? dachte er
verstört. Als er in sie eindrang, sah er den Hund in ein paar
Schritten Entfernung. Es war ein weißer Hund, die rote Zunge
hing ihm aus dem Maul, er knurrte gefährlich und fletschte die
Zähne, Geifer troff herunter. Seit wann stand er da?
»Was ist los? Schwächelst du schon?«
»Da ist ein Hund.«
»Der kann mich mal. Mach weiter!«
Genau in diesem Augenblick schnellte der Hund hoch,
und Montalbano erstarrte vor Angst. Der Hund landete wenige
Zentimeter vor seinem Gesicht, er blieb reglos stehen, seine
Färbung verblich, er kauerte sich hin, die Vorderbeine
ausgestreckt, die Hinterbeine angezogen, und wurde zu einer
tönernen Kunstfigur. Es war der Hund aus der Grotte, der die
Toten bewachte. Plötzlich verschwanden Himmel, Bäume,
Gras und gerannen zu Wänden und einem Dach aus Fels, und
er begriff voller Grauen, daß die Toten in der Grotte nicht
zwei Unbekannte, sondern er und Livia waren.
Keuchend und schweißgebadet wachte er aus dem Alptraum
auf und bat Livia im Geiste sofort um Verzeihung, daß er sie
sich im Traum so vulgär vorgestellt hatte. Was bedeutete
dieser Hund? Und diese widerlichen Schnecken, die überall
herumkrochen?
Aber der Hund, der Hund hatte ganz bestimmt irgendeine
Bedeutung.
Auf dem Weg ins Büro fuhr er am Zeitungskiosk vorbei und
kaufte die beiden Tageszeitungen, die auf der Insel
herausgegeben wurden. Beide berichteten ausführlich über die
Entdeckung der Höhlenleichen, den Waffenfund dagegen
hatten sie so ziemlich vergessen. Die Zeitung, die in Palermo
gedruckt wurde, war von einem Selbstmord aus Liebe
überzeugt, das Blatt aus Catania war auch für die
Mordhypothese offen, ohne dabei die Selbstmordhypothese zu
unterschlagen, denn sie titulierte gar Zweifacher Selbstmord
oder Doppelmord? und stellte geheimnisvolle und vage
Betrachtungen zum Unterschied zwischen doppelt und
zweifach an. Andererseits bezog die Zeitung sonst nie
Position, egal, ob es sich um einen Krieg oder ein Erdbeben
handelte, sie hängte ihre Fahne nach dem Wind und genoß
daher den Ruf eines unabhängigen und liberalen Blattes. Keine
der beiden Zeitungen hielt sich bei dem Krug, der Schale und
dem Hund aus Terracotta auf.
Kaum stand Montalbano in der Tür, fragte Catarella ihn
ganz außer Atem, was er denn den Hunderten von Journalisten
sagen solle, die dauernd anriefen und ihn sprechen wollten.
»Sag ihnen, ich bin in geheimer Mission unterwegs.«
»Und daß Sie Missionar geworden sind?« fragte der
Polizist enorm geistreich und brach ganz allein in schallendes
Gelächter aus.
Montalbano beglückwünschte sich dazu, daß er noch am
Abend, bevor er schlafen gegangen
Weitere Kostenlose Bücher