Commissario Montalbano 02 - Der Hund aus Terracotta
täglich. Einmal habe ich zehn
Bombenangriffe in sechsunddreißig Stunden gezählt. Kaum
jemand war im Dorf zurückgeblieben, die meisten waren
geflohen, wir lebten in Verstecken, die wir in den Mergelhügel
oberhalb des Dorfes gegraben hatten. Eigentlich waren es
Schächte mit zwei Ausgängen, die guten Schutz boten. Wir
hatten sogar Betten hineingestellt. Jetzt ist Vigàta gewachsen,
es ist nicht mehr wie damals, ein paar Häuser um den Hafen,
eine Häuserzeile zwischen dem Fuß des Hügels und dem
Meer. Oben auf dem Hügel, dem Piano Lanterna, der heute
mit seinen Wolkenkratzern wie New York aussieht, standen
ein paar Häuser an der einzigen Straße, die zum Friedhof
führte und sich dann in der Landschaft verlor. Drei Ziele
hatten die feindlichen Flieger: das Elektrizitätswerk, den
Hafen mit seinen Kriegs- und Handelsschiffen, die
Luftabwehr- und Küstenbatterien, die auf dem Kamm der
Anhöhe standen. Mit den Engländern war es nicht so schlimm
wie mit den Amerikanern.«
Montalbano wurde ungeduldig, er wollte endlich zum
Thema kommen, zu dem Hund, aber den Ragioniere auch
nicht in seinen Abschweifungen unterbrechen.
»Inwiefern ging es besser, Ragioniere? Bomben sind
doch Bomben.«
Burruano schwieg, er hing wohl irgendeiner Erinnerung
nach, und der Preside sprach an seiner Stelle. »Die Engländer
waren, wie soll ich sagen, fairer, sie bemühten sich, mit ihren
Bomben nur militärische Ziele zu treffen, aber die Amerikaner
bombardierten uns hemmungslos, wie es gerade kam.«
»Gegen Ende 42«, fuhr Burruano fort, »wurde die Lage
immer schwieriger. Es mangelte an allem, von Brot über
Medikamente bis hin zu Wasser und Kleidung. Da kam ich auf
die Idee, für Weihnachten eine Krippe zu machen, vor der wir
uns versammeln und beten könnten. Wir hatten sonst nichts.
Aber ich wollte eine besondere Krippe. Ich nahm mir also vor,
den Vigatèsi wenigstens für ein paar Tage ihre vielen Sorgen
und die Angst vor den Bomben wenn auch nur ein bißchen zu
nehmen. Jede Familie hatte mindestens einen Mann draußen
im Krieg, im eisigen Rußland oder in der Hölle Afrikas. Alle
waren wir nervös, unzugänglich, reizbar geworden, beim
geringsten Anlaß gab es Streit, unsere Nerven waren sehr
angespannt. Nachts taten wir kein Auge zu bei dem dauernden
Flakfeuer, den explodierenden Bomben, dem Lärm der
Tiefflieger, dem Kanonendonner von den Schiffen. Und alle
kamen immer zu mir oder zum Pfarrer, weil sie mal das, mal
jenes brauchten, und ich wußte gar nicht mehr, wo mir der
Kopf stand. Ich fühlte mich überhaupt nicht mehr jung, was
ich ja eigentlich war, ich fühlte mich damals so, wie ich jetzt
bin.«
Er hielt inne, um Atem zu schöpfen. Weder Montalbano
noch der Preside mochten diese Pause füllen.
»Langer Rede kurzer Sinn, ich sprach also mit Ballassàro
Chiarenza, der wirklich ein Töpferkünstler war, er machte es
aus reinem Vergnügen, denn von Berufs wegen war er
eigentlich Fuhrmann. Und der hatte die Idee, die Figuren in
Lebensgröße zu bauen: das Jesuskind, Maria, Joseph, Ochs
und Esel, einen Schäfer mit einem Lämmchen auf den
Schultern, ein Schaf, einen Hund und einen erschrockenen
Hirten, der staunend die Arme hebt und der in keiner Krippe
fehlen darf. Er baute sie, und sie waren wunderschön. Da
dachten wir, wir stellen sie nicht in der Kirche auf, sondern
unter der Arkade eines bombardierten Hauses, als wäre Jesus
mitten im Leid der Menschen geboren worden.«
Er fuhr mit der Hand in die Jackentasche, zog eine
Fotografie heraus und reichte sie dem Commissario. Die
Krippe war wirklich wunderschön, da hatte der Ragioniere
ganz recht. Sie strahlte etwas Flüchtiges, Provisorisches aus
und zugleich tröstliche Wärme und überirdische Heiterkeit.
»Sie ist wundervoll«, sagte Montalbano anerkennend und
war ganz bewegt. Aber das dauerte nur einen Augenblick, der
Polizist in ihm gewann die Oberhand, und er sah sich den
Hund auf dem Bild genauer an. Kein Zweifel, es war der Hund
aus der Grotte. Der Ragioniere steckte das Foto wieder ein.
»Die Krippe hat tatsächlich Wunder gewirkt. Ein paar
Tage lang gingen wir wirklich freundlich miteinander um.«
»Was ist aus den Figuren geworden?«
Das war es, was Montalbano wissen wollte. Der alte
Mann lächelte.
»Ich habe sie versteigert, alle. Ich bekam soviel dafür,
daß ich Chiarenza, der nur seine Ausgaben ersetzt haben
wollte, auch für seine Arbeit bezahlen und denen, die es am
nötigsten
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