Commissario Montalbano 02 - Der Hund aus Terracotta
hatten, etwas zustecken konnte. Und das waren
viele.«
»Wer hat die Figuren gekauft?«
»Das ist es ja. Ich weiß es nicht mehr. Ich hatte die
Quittungen und alles, aber sie gingen verloren, als ein Teil des
Rathauses während der Landung der Alliierten in Flammen
aufging.«
»Erinnern Sie sich, in dieser Zeit etwas vom
Verschwinden eines jungen Paares gehört zu haben?«
Der Ragioniere grinste, und der Preside brach in
schallendes Gelächter aus.
»Habe ich was Dummes gesagt?«
»Entschuldigen Sie, Commissario, allerdings«, kicherte
der Preside.
»Schauen Sie, 1939 waren wir in Vigàta vierzehntausend
Einwohner. Ich habe die Zahlen noch im Kopf«, erklärte
Burruano. »1942 waren es nur noch achttausend. Wer konnte,
ging fort, die Leute wurden vorübergehend in Dörfern im
Landesinneren aufgenommen, winzige Dörfer, die die
Amerikaner nicht interessierten. In der Zeit von Mai bis Juli
43 dezimierte sich unsere Zahl schätzungsweise auf etwa
viertausend, nicht mitgerechnet die italienischen und
deutschen Soldaten und die Seeleute. Die anderen waren
überall im Hinterland verteilt, sie lebten in Höhlen, in
Heuschobern, in irgendwelchen Löchern. Wie soll man da
etwas
von
Verschwundenen
wissen?
Alle
waren
verschwunden!«
Sie lachten wieder. Montalbano dankte ihnen für ihre
Auskünfte.
Gut, jetzt wußte er immerhin ein bißchen mehr. Das plötzliche
Gefühl der Dankbarkeit, das er dem Preside und dem
Ragioniere gegenüber empfunden hatte, wandelte sich, sobald
die beiden gegangen waren, in einen unbändigen Anfall von
Großzügigkeit, die er, das wußte er jetzt schon, früher oder
später bereuen würde. Er rief Mimì Augello zu sich ins Büro,
gestand wortreich seine Schuld gegenüber dem Freund und
Mitarbeiter ein, legte ihm den Arm um die Schultern, drehte
einige Runden mit ihm durchs Zimmer, sprach ihm sein
»unbedingtes Vertrauen« aus, unterrichtete ihn ausführlich
über seine Ermittlungen in der Waffengeschichte, teilte ihm
den Mord an Misuraca mit und sagte ihm, er habe den Richter
um eine Abhörgenehmigung für Ingrassias Telefonapparate
gebeten.
»Und was soll ich jetzt tun?« fragte Augello ganz
begeistert.
»Nichts. Du sollst mir nur zuhören«, sagte Montalbano,
der plötzlich wieder zu sich gekommen war. »Denn wenn du
auch nur das Geringste aus eigener Initiative tust, dann reiß'
ich dir den Arsch auf, das verspreche ich dir.«
Das Telefon läutete, Montalbano hob ab und hörte Catarellas
Stimme, der in der Vermittlung saß.
»Pronti, dottori? Da wäre Jacomuzzi, also, wie soll ich
sagen, Dottori Jacomuzzi...«
»Gib ihn mir.«
»Reden Sie mit dem Dottori, Dottori, er ist am Telefon«,
hörte er Catarella sagen.
»Montalbano? Ich komme gerade vom Crasticeddru, und
da...«
»Wo bist du denn?«
»Wie, wo bin ich. Im Zimmer nebenan natürlich.«
Montalbano fluchte, wie konnte man nur so blöd sein wie
Catarella!
»Komm rüber.«
Die Tür ging auf, Jacomuzzi kam herein, voller Staub und
rotem Sand, das Haar zerzaust, die Kleidung schlampig.
»Warum wollte mich dein Kollege denn nur am Telefon
mit dir reden lassen?«
»Jacomù, was ist blöder, Karneval oder der, der hingeht?
Du kennst doch Catarella. Das nächste Mal gibst du ihm einen
Arschtritt und kommst gleich rein.«
»Ich habe die Untersuchung der Grotte abgeschlossen.
Den Sand habe ich durchsieben lassen, mindestens so
gründlich wie die Goldsucher in den amerikanischen Filmen.
Wir haben absolut nichts gefunden. Und nachdem Pasquano
mir gesagt hat, daß die Verletzungen eine Eintritts- und eine
Austrittsöffnung aufweisen, kann das nur eines heißen.«
»Daß die beiden an einem anderen Ort erschossen
wurden.«
»Richtig. Wären sie in der Grotte erschossen worden,
hätten wir die Kugeln finden müssen. Und etwas war
merkwürdig. Der Sand in der Grotte war mit feinstgemahlenen
Schneckenhäusern vermischt, da müssen Tausende drin
gewesen sein.«
» Gesù!« flüsterte Montalbano. Der Traum, der Alptraum,
Livias nackter Körper, über den die Schnecken krochen. Was
bedeutete er? Er faßte sich mit der Hand an die Stirn, die
schweißnaß war.
»Geht's dir nicht gut?« fragte Jacomuzzi besorgt.
»Nein, nein, mir ist ein bißchen schwindlig, ich bin nur
müde.«
»Sag Catarella, er soll dir was Stärkendes aus der Bar
bringen.«
»Catarella? Soll das ein Witz sein? Den hab' ich mal
gebeten, mir einen Espresso zu bringen, und er ist mit einer
Marke
Weitere Kostenlose Bücher