Commissario Montalbano 02 - Der Hund aus Terracotta
des Crasto zerstört. Soweit ich weiß, war
Lillo, als der Ansturm vorbei war, allein im Haus und schwer
verletzt. Ein Bauer hat ihn gesehen, als italienische Soldaten
ihn auf einen Lastwagen legten, er verlor sehr viel Blut. Das
ist das letzte, was ich von Lillo gehört habe. Seitdem habe ich
keine Nachricht mehr von ihm, und ich habe, weiß Gott,
Nachforschungen angestellt!«
»Ist es möglich, daß es in seiner Familie keinen einzigen
Überlebenden gibt?«
»Ich weiß es nicht.«
Der Preside merkte, daß seine Frau irgendeinem
Gedanken nachhing, sie hatte die Augen halb geschlossen und
war weit weg.
»Angilina!« rief der Preside.
Die alte Dame fuhr zusammen und sah Montalbano
lächelnd an.
»Sie müssen mir verzeihen. Mein Mann sagt immer, ich
sei eine phantastische Frau, aber das soll kein Lob sein, es
heißt nur, daß hin und wieder meine Phantasie mit mir
durchgeht.«
Fünfzehn
Nach dem Abendessen mit den Burgios war er schon um zehn
Uhr wieder zu Hause, zu früh zum Schlafengehen. Im
Fernsehen gab es eine Diskussion über die Mafia, eine über
die italienische Außenpolitik, eine dritte über die
Wirtschaftslage, einen runden Tisch über die Verhältnisse in
der Nervenklinik von Montelusa, eine Debatte über die
Informationsfreiheit, einen Dokumentarfilm über kriminelle
Jugendliche in Moskau, einen Dokumentarfilm über Robben,
einen dritten über Tabakanbau, einen Gangsterfilm, der im
Chicago der dreißiger Jahre spielte, die tägliche Sendung, in
der ein ehemaliger Kunstkritiker und jetziger Abgeordneter
und politischer Kommentator gegen Richter, linke Politiker
und Feinde geiferte und sich für einen kleinen Saint-Just hielt,
sich damit aber nahtlos in die Schar der Teppichverkäufer,
Fußpfleger, Zauberer und Stripteasetänzerinnen einreihte, die
immer häufiger über den Fernsehschirm flimmerten. Er
schaltete den Fernseher aus, machte draußen Licht und setzte
sich mit einer Zeitschrift, die er abonniert hatte, auf die Bank
in der Veranda. Die Zeitschrift war gut aufgemacht und
brachte interessante Artikel, geschrieben von einer Gruppe
junger Umweltschützer aus der Provinz. Er las das
Inhaltsverzeichnis durch und sah sich, da er nichts
Interessantes fand, die Fotos an, die oft von Skandalen
handelten und exemplarisch sein wollten, was sie auch
tatsächlich manchmal waren.
Er war überrascht, als es an der Tür klingelte. Ich erwarte
doch niemanden, dachte er, aber da fiel ihm ein, daß Anna ihn
am Nachmittag angerufen hatte. Er hatte ihr den Wunsch, ihn
zu besuchen, nicht abschlagen können, er fühlte sich in ihrer
Schuld, weil er sie – auf gemeine Weise, er gab es ja zu – mit
seiner erfundenen Geschichte benutzt hatte, um Ingrid von den
Nachstellungen ihres Schwiegervaters zu erlösen.
Anna küßte ihn auf die Wangen und reichte ihm ein
Päckchen.
»Ich habe dir petrafèrnula mitgebracht.«
Dieses Gebäck war kaum noch zu bekommen,
Montalbano liebte es, und warum es die pasticceri nicht mehr
herstellten, wußte kein Mensch.
»Ich hatte in Mìttica zu tun, da habe ich es in einem
Schaufenster gesehen und für dich gekauft. Gib acht auf deine
Zähne.«
Das Gebäck schmeckte um so besser, je härter es war.
»Was hast du gerade gemacht?«
»Nichts, in einer Zeitschrift gelesen. Komm doch auch
raus.« Sie setzten sich auf die Bank, Montalbano schaute
weiter Fotos an, Anna stützte den Kopf in die Hände und sah
aufs Meer hinaus.
»Wie schön es bei dir ist!«
»Mhm.«
»Man hört nur die Wellen rauschen.«
»Mhm.«
»Stört es dich, wenn ich rede?«
»Nein.«
Anna schwieg. Nach einer Weile sprach sie weiter. »Ich
gehe rein, fernsehen. Mir ist ein bißchen kalt.«
»Hmhm.«
Der Commissario mochte sie nicht unbedingt ermuntern,
Anna wollte sich offensichtlich dem nur ihr vorbehaltenen
Vergnügen hingeben, so zu tun, als sei sie seine Freundin, und
sich vorzustellen, sie verbringe einen ganz normalen Abend
mit ihm. Da sah er auf der letzten Seite der Zeitschrift ein
Foto, auf dem das Innere einer Grotte abgebildet war, die
»Grotta di Fragapane«, die eigentlich eine Nekropolis war, ein
Ensemble christlicher Gräber, die in antiken Zisternen
ausgehoben waren. Das Foto veranschaulichte die Rezension
des soeben erschienenen Buches eines gewissen Alcide
Maraventato mit dem Titel Bestattungsriten in der Gegend von
Montelusa. Die Veröffentlichung dieser sehr fundierten
Abhandlung von Maraventato – versicherte der
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