Commissario Montalbano 02 - Der Hund aus Terracotta
Haus am Ortseingang von Gallotta fand er sofort, aber es
schien ihm unmöglich, daß jemand in dieser Ruine wohnen
konnte. Das Dach war halb eingefallen, in den dritten Stock
regnete es bestimmt hinein. Schon bei diesem leichten Wind
schlug ein Fensterladen, der unbegreiflicherweise noch an
seinem Platz hing. Im oberen Teil der Fassade wies die
Außenmauer handbreite Risse auf. Die unteren Stockwerke
und das Erdgeschoß schienen in besserem Zustand zu sein.
Der Verputz war längst verschwunden, die Fensterläden waren
alle kaputt, die Farbe abgeblättert, aber sie schlossen
anscheinend wenigstens, wenn sie auch windschief waren. Ein
schmiedeeisernes Gartentor stand halb offen und neigte sich
nach außen, wahrscheinlich seit undenklichen Zeiten schon,
und überall Unkraut und Erde.
Der
Park
war
eine
ungepflegte
Ansammlung
verkrüppelter
Bäume
und
dichter
Büsche,
ein
undurchdringliches Dickicht. Montalbano ging einen Pfad aus
losen Steinen entlang und blieb vor der Tür, von der die Farbe
abgeblättert war, stehen. Es wurde schon dunkel, der
Übergang von der Sommer- zur Winterzeit verkürzte die Tage
in Wirklichkeit. Es gab eine Klingel, er schellte. Das heißt, er
hielt den Finger auf die Klingel gedrückt, denn er hatte nicht
den leisesten Ton gehört. Er versuchte es noch einmal, bis er
begriff, daß diese Klingel wohl schon seit der Erfindung der
Elektrizität nicht mehr funktionierte. Also betätigte er den
Türklopfer in Form eines Pferdekopfes und hörte beim
drittenmal endlich schlurfende Schritte. Die Tür ging
geräuschlos auf, man hörte keine Kette und keinen Riegel, nur
einen langen Klageton wie von einer Seele im Fegefeuer.
»Sie war offen, Sie hätten nur drücken, reingehen und
mich rufen müssen.«
Was da sprach, war ein Skelett. Noch nie in seinem
Leben hatte Montalbano so einen dürren Menschen gesehen.
Das heißt, gesehen schon, aber auf dem Totenbett, vertrocknet,
von einer Krankheit ausgedörrt. Der hier stand noch auf
beiden Beinen, wenn auch arg gekrümmt, und machte einen
ganz lebendigen Eindruck. Er trug eine Soutane, die
ursprünglich schwarz gewesen sein mußte und jetzt einen
Stich ins Grüne hatte, der steife Kragen, einstmals weiß, war
von einem speckigen Grau. Er trug genagelte Bauernschuhe,
wie man sie schon lange nicht mehr bekam. Er war völlig kahl,
und in seinem Totenschädelgesicht saß eine Goldrandbrille,
als hätte man sie ihm zum Spaß aufgesetzt, mit dicken
Gläsern, hinter denen der Blick verschwamm. Montalbano
dachte, daß die beiden in der Grotte, die seit fünfzig Jahren tot
waren, mehr Fleisch auf den Knochen hatten als dieser Pfarrer.
Daß er uralt war, verstand sich von selbst.
Förmlich bat Maraventato ihn herein und führte ihn in
einen riesigen Salon, der im wahrsten Sinne des Wortes
vollgestopft war mit Büchern, die nicht nur in Regalen
standen, sondern auch auf dem Boden in Stapeln, die bis an
die hohe Decke reichten und wie durch ein Wunder das
Gleichgewicht hielten. Durch die Fenster drang kein Licht ein,
die Bücherstapel auf den Fensterbrettern verdeckten die
Scheiben vollständig. An Möbeln gab es einen Schreibtisch,
einen Stuhl und einen Sessel. Wenn Montalbano sich nicht
irrte, war die Lampe auf dem Schreibtisch eine echte
Petroleumlampe. Der alte Pfarrer räumte die Bücher vom
Sessel und bedeutete Montalbano, sich zu setzen.
»Ich kann mir zwar nicht vorstellen, wie ich Ihnen
behilflich sein kann, aber reden Sie nur.«
»Man hat Ihnen bestimmt gesagt, daß ich Commissario
bin und...«
»Nein, man hat mir nichts gesagt, und ich habe auch nicht
gefragt. Gestern ist am späten Abend jemand aus dem Dorf
gekommen und hat mir gesagt, daß ein Typ aus Vigàta mich
sprechen will, und ich habe geantwortet, daß er um halb sechs
kommen soll. Wenn Sie Commissario sind, haben Sie Pech
gehabt, Sie verlieren nur Ihre Zeit.«
»Warum sollte ich meine Zeit verlieren?«
»Weil ich seit mindestens dreißig Jahren das Haus nicht
mehr verlassen habe. Was soll ich da draußen? Die alten
Gesichter sind verschwunden, und die neuen überzeugen mich
nicht. Was ich brauche, wird mir jeden Tag gebracht, ich
trinke sowieso nur Milch und einmal in der Woche
Hühnerbrühe.«
»Sie wissen bestimmt aus dem Fernsehen...«
Kaum hatte Montalbano den Satz begonnen, unterbrach
er sich auch schon, das Wort »Fernsehen« schien ihm fehl am
Platz.
»In diesem Haus gibt es nicht mal elektrisches
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