Commissario Montalbano 02 - Der Hund aus Terracotta
Besuch
eine kleine alte Dame, adrett, sehr gepflegt, dicke
Brillengläser, hinter denen lebhafte, hellwache Augen blitzten.
Das Altersheim! ging es Montalbano durch den Kopf.
»Ich möchte Ihnen meine Frau Angelina vorstellen.«
Montalbano verbeugte sich bewundernd, er mochte es,
wenn ältere Frauen auch zu Hause auf ihr Äußeres achteten.
»Bitte verzeihen Sie, daß ich zur Abendessenszeit einfach
hereinplatze.«
»Ach was! Apropos – haben Sie heute noch etwas vor?«
»Nein.«
»Dann bleiben Sie doch zum Essen. Es gibt etwas für alte
Leute, wir müssen leicht essen: tinnirume und triglie di
scoglio a oglio e limone.«
» Das klingt ja köstlich.« Die Signora verschwand
strahlend. »Worum geht es denn?« fragte Preside Burgio. »Ich
habe den Zeitpunkt des Doppelmordes vom Crasticeddru
herausgefunden.«
»Ach, und wann war das?«
»Mit Sicherheit zwischen Anfang 1943 und Oktober
desselben Jahres.«
»Wie sind Sie darauf gekommen?«
»Ganz einfach. Der Hund aus Terracotta wurde, wie
Ragioniere Burruano schon sagte, nach Weihnachten 42
verkauft, also vermutlich nach dem Dreikönigstag. Die
Münzen in der Schale wurden im Oktober des gleichen Jahres
aus dem Verkehr gezogen.«
Er schwieg. »Und das kann nur eines heißen«, fügte er
dann hinzu.
Aber er sagte nicht, was. Montalbano wartete geduldig,
bis Burgio sich wieder gesammelt hatte, aufgestanden und ein
paar Schritte durchs Zimmer gegangen war und dann selbst
das Wort ergriff.
»Ich verstehe, Dottore. Sie wollen andeuten, daß die
Grotte im Crasticeddru zur damaligen Zeit Rizzitano gehörte.«
»Genau. Schon damals – das weiß ich von Ihnen – war
die Grotte mit dem Felsblock verschlossen, weil die Rizzitanos
die Sachen darin lagerten, die sie auf dem Schwarzmarkt
verkauften. Die Rizzitanos wußten ganz bestimmt von der
anderen Grotte, der Grotte, in die man die Toten gelegt hatte.«
Der Preside sah ihn erstaunt an. »Wie meinen Sie das –
‚gelegt hatte’?«
»Weil sie woanders ermordet wurden, das steht fest.«
»Aber was macht das für einen Sinn? Warum soll sie
jemand dort hingebracht und zurechtgelegt haben, als
schliefen sie, mit dem Krug, der Schale mit dem Geld und dem
Hund?«
»Das frage ich mich auch. Der einzige Mensch, der uns
etwas darüber sagen kann, ist vielleicht Lillo Rizzitano, Ihr
Freund.«
Signora Angelina kam herein. »Es ist angerichtet.«
Das tinnirume, Blüten und Blattspitzen des sizilianischen
Kürbisses, der länglich und glatt ist und von einem Weiß mit
einem kleinen Stich ins Grüne, war auf die Sekunde genau
gegart und so zart, so köstlich, daß es Montalbano das Herz
zusammenzog. Bei jedem Bissen hatte er das Gefühl, daß sein
Magen spiegelblank geputzt wurde. Er mußte an einen Fakir
denken, den er einmal im Fernsehen gesehen hatte; er hatte
einen Streifen Stoff verschluckt und ihn dann komplett wieder
herausgezogen.
»Und, wie finden Sie es?« erkundigte sich Signora
Angelina. »Anmutig«, sagte Montalbano. Als die beiden ihn
überrascht ansahen, wurde er rot und erklärte: »Verzeihen Sie,
mir fehlen manchmal die richtigen Adjektive.«
Die triglie di scoglio, gedünstet und mit Öl, Zitrone und
Petersilie angerichtet, waren genauso leicht wie das tinnirume.
Erst beim Obst kam der Preside wieder auf die Frage zurück,
die Montalbano ihm gestellt hatte, ließ sich jedoch vorher
noch über das Thema Schule und die Schulreform aus, die der
Minister der neuen Regierung durchführen wollte, wobei unter
anderem das Gymnasium abgeschafft werden sollte.
»In Rußland«, sagte der Preside, »gab es zu Zeiten der
Zaren das Gymnasium, auch wenn es auf russisch anders hieß.
Liceo nannte es bei uns Gentile in seiner Reform, die das Ideal
der humanistischen Studien über alles stellte. Gut, Lenins
Kommunisten konnten so kommunistisch sein, wie sie
wollten, das Gymnasium trauten sie sich nicht abzuschaffen.
Nur so ein Emporkömmling, ein Parvenu, ein Halbanalphabet,
eine Null wie dieser Minister kann auf so eine Idee kommen.
Wie heißt er noch mal – Guastella?«
»Nein, Vastella«, sagte Signora Angelina.
Er hieß noch mal anders, aber der Commissario unterließ
es, sie darauf hinzuweisen.
»Lillo und ich waren dicke Freunde, allerdings nicht von
der Schule her, denn er war älter als ich. Als ich in der dritten
Klasse des Gymnasiums war, hatte er gerade seinen Doktor
gemacht. In der Nacht, als die Alliierten landeten, wurde
Lillos Haus am Fuß
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