Commissario Montalbano 02 - Der Hund aus Terracotta
hatte das Schaufenster des Ladens
nebenan gesehen, in dem antike Münzen ausgestellt waren.
Er stand auf, sagte Catarella Bescheid, daß er weggehe,
aber spätestens in einer halben Stunde wieder zurück sei, und
ging zu Fuß zu dem Laden. Er hieß Cose, Dinge, und Dinge
hatte er im Schaufenster: Wüstenrosen, Briefmarken,
Kerzenleuchter, Ringe, Broschen, Münzen, Edelsteine. Er trat
ein, und ein hübsches, gepflegtes Mädchen empfing ihn mit
einem Lächeln. Er bedauerte es, daß er sie enttäuschen mußte,
und erklärte, er wolle nichts kaufen, sondern habe die Münzen
im Schaufenster gesehen und wolle wissen, ob es hier im
Laden oder in Vigàta jemanden gebe, der etwas von
Numismatik verstehe.
»Klar gibt es da jemanden«, sagte das Mädchen und
lächelte immer noch, daß es eine Wonne war. »Meinen
Großvater.«
»Wo kann ich ihn stören?«
»Sie stören ihn überhaupt nicht, er wird sich freuen. Er ist
hinten im Zimmer, ich sage ihm schnell Bescheid.«
Montalbano hatte nicht mal die Zeit, sich eine Pistole
ohne Abzugshahn vom Ende des neunzehnten Jahrhunderts
anzuschauen, da war sie schon zurück.
»Bitte, kommen Sie.«
Das Hinterzimmer war eine herrliche Rumpelkammer mit
Trichtergrammophonen,
vorsintflutlichen
Nähmaschinen,
Vervielfältigungsapparaten, Bildern, Stichen, Nachttöpfen,
Pfeifen. Und überall Bücherregale, auf denen wild
durcheinander
Inkunabeln,
Lampenschirme,
pergamentgebundene Bücher, Schirme und Klappzylinder
lagen. Mittendrin stand ein Schreibtisch, an dem ein alter
Mann saß; eine Jugendstillampe diente ihm als Lichtquelle.
Mit einer Pinzette hielt er eine Briefmarke, die er durch ein
Vergrößerungsglas untersuchte.
»Was wollen Sie?« fragte er unfreundlich und sah nicht
mal auf.
Montalbano legte die drei Münzen vor ihn hin. Der Alte
sah kurz von seiner Briefmarke auf und warf einen achtlosen
Blick auf die Münzen.
»Wertlos.«
So griesgrämig wie der hier war von den Alten, die
Montalbano im Lauf seiner Ermittlungen über die Toten vom
Crasticeddru bisher kennengelernt hatte, noch keiner gewesen.
Man müßte sie alle in einem Altersheim versammeln,
dachte der Commissario, dann ginge es mit dem Befragen
schneller.
»Ich weiß, daß sie wertlos sind.«
»Was wollen Sie dann wissen?«
»Wann sie aus dem Umlauf genommen wurden.«
»Denken Sie mal nach.«
»Als die Republik ausgerufen wurde?« fragte Montalbano
auf gut Glück.
Er kam sich vor wie ein Schüler, der unvorbereitet in eine
Prüfung gegangen war. Der Alte lachte, und sein Lachen klang
wie das Scheppern von zwei leeren Blechbüchsen, die
aneinanderstießen.
»War das falsch?«
»Allerdings, und wie. Die Amerikaner landeten hier bei
uns in der Nacht vom neunten auf den zehnten Juli 1943.
Diese Münzen wurden im Oktober desselben Jahres aus dem
Umlauf genommen. Sie wurden durch die amlire ersetzt, das
Papiergeld, das die Amgot, die Alliierte Militärverwaltung der
besetzten Gebiete, drucken ließ. Und weil es Banknoten zu
einer, fünf und zehn Lire waren, wurden die Centesimi außer
Kurs gesetzt.«
Als Fazio und Galluzzo zurückkamen, war es schon
dunkel, und der Commissario schimpfte.
»All'anima! Ihr habt euch ja ganz schön Zeit gelassen!«
»Wie bitte?« wehrte sich Fazio. »Sie kennen den Tenente
doch! Er hat den Toten erst angefaßt, als der Giudice und
Dottor Pasquano endlich da waren. Die haben sich Zeit
gelassen!«
»Und?«
»Die Leiche war taufrisch. Pasquano hat gesagt, vom
Mord bis zu dem Anruf wäre nicht mal eine Stunde vergangen.
Der Tote hatte seinen Ausweis in der Tasche: Gullo Pietro,
zweiundvierzig Jahre, blaue Augen, blond, Gesichtsfarbe rosa,
geboren in Merfi, wohnhaft in Fela, Via Matteotti 32,
verheiratet, keine besonderen Kennzeichen.«
»Warum bewirbst du dich nicht beim Standesamt?«
Fazio überhörte die Provokation würdevoll und fuhr fort:
»Ich bin nach Montelusa gefahren und habe im Archiv
nachgesehen. Dieser Gullo hatte eine ganz normale Jugend,
zwei Diebstähle, eine Schlägerei. Dann hat er sich am Riemen
gerissen, zumindest scheint es so. Er handelte mit Getreide.«
»Ich bin Ihnen wirklich dankbar, daß ich gleich kommen
konnte«, sagte Montalbano zum Preside, der ihm die Tür
geöffnet hatte.
»Aber ich bitte Sie! Es ist mir eine große Freude.«
Er ließ ihn herein, führte ihn ins Wohnzimmer, bat ihn,
Platz zu nehmen, und rief: »Angilina!«
Schon erschien – neugierig auf den unerwarteten
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