Commissario Montalbano 02 - Der Hund aus Terracotta
Licht.«
»Gut, aber Sie haben doch sicher in der Zeitung
gelesen...«
»Ich kaufe keine Zeitungen.«
Warum nur stellte er sich dauernd selbst ein Bein?
Montalbano holte tief Atem, machte einen neuen Anlauf und
erzählte alles, von den Waffen bis zur Entdeckung der Toten
im Crasticeddru.
»Warten Sie, ich mache Licht, da redet sich's besser.«
Maraventato wühlte zwischen den Papieren auf dem Tisch,
fand eine Schachtel Streichhölzer und zündete mit zittriger
Hand eines an. Montalbano bekam eine Gänsehaut. Wenn er
es fallen läßt, dachte er, brennen wir in drei Sekunden
lichterloh.
Aber das Unternehmen glückte, und alles wurde
schlimmer, weil die Lampe zwar den halben Tisch matt
beleuchtete, dafür aber die Seite, an der der Alte saß, in
tiefstes Dunkel tauchte. Montalbano staunte, als der Pfarrer
eine Hand ausstreckte und nach einer kleinen Flasche mit
einem merkwürdigen Verschluß griff. Auf dem Tisch standen
drei weitere Flaschen, zwei waren leer, die dritte mit einer
weißen Flüssigkeit gefüllt. Es waren keine richtigen Flaschen,
es waren Babyfläschchen, alle mit Sauger. Montalbano fühlte
sich merkwürdig unbehaglich, der Alte hatte angefangen zu
nuckeln.
»Bitte entschuldigen Sie, ich habe keine Zähne.«
»Warum trinken Sie die Milch nicht aus einer Schale oder
einer Tasse oder, was weiß ich, aus einem Becher?«
»Weil es so besser schmeckt. Es ist wie Pfeiferauchen.«
Montalbano beschloß, sobald wie möglich zu
verschwinden, erhob sich, zog zwei Fotos aus der Tasche, die
er sich von Jacomuzzi hatte geben lassen, und reichte sie dem
Pfarrer.
»Könnte das ein Bestattungsritual sein?«
Da kam Leben in den Alten, der sich grunzend die Fotos
ansah.
»Was war in der Schale?«
»Münzen aus den vierziger Jahren.«
»Und in dem Krug?«
»Nichts... Überhaupt nichts... Da kann nur Wasser drin
gewesen sein.«
Gedankenverloren nuckelte der Alte eine Weile vor sich
hin. Montalbano setzte sich wieder.
»Es ergibt keinen Sinn«, sagte der Pfarrer und legte die
Fotos auf den Tisch.
Sechzehn
Montalbano war fix und fertig, der Kopf schwirrte ihm von
den unzähligen Fragen des Pfarrers, und außerdem stieß
Alcide Maraventato jedesmal, wenn er keine Antwort wußte,
eine Art Klagelaut aus und schmatzte aus Protest noch lauter
als vorher. Er hatte das zweite Fläschchen angesetzt.
In welche Richtung zeigten die Köpfe der Leichen?
War der Krug aus gewöhnlichem Ton oder aus einem
anderen Material?
Wie viele Münzen lagen in der Schale?
Wie weit genau waren der Krug, die Schale und der Hund
aus Terracotta jeweils von den beiden Toten entfernt?
Endlich war das Kreuzverhör vorbei. »Es ergibt keinen
Sinn.«
Am Ende des Verhörs hatte sich bestätigt, was der Pfarrer
gleich zu Anfang gesagt hatte. Mit einer gewissen
Erleichterung, aus der er kein Hehl machte, glaubte der
Commissario, aufstehen, sich verabschieden und gehen zu
können.
»Warten Sie, warum so eilig?«
Resigniert setzte Montalbano sich wieder hin. »Ein
Bestattungsritual ist es nicht, vielleicht ist es etwas anderes.«
Plötzlich fiel alle Müdigkeit von Montalbano ab, er kam
aus seinem Tief heraus und war wieder im Vollbesitz seiner
geistigen Kräfte: Maraventato hatte also doch seinen Verstand
beieinander.
»Sprechen Sie, ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie mir
Ihre Meinung dazu sagten.«
»Haben Sie Umberto Eco gelesen?«
Montalbano begann zu schwitzen.
Gesù, jetzt prüft er mich in Literatur, dachte er und
druckste herum: »Ich habe seinen ersten Roman gelesen, auch
Platon im Stripteaselokal und Wie man mit einem Lachs
verreist, und ich finde beide...«
»Ich nicht, die Romane kenne ich nicht. Ich meinte die
Einführung in die Semiotik, aus der uns einige Passagen
hilfreich sein könnten.«
»Bedaure, das habe ich nicht gelesen.«
»Haben Sie auch Semeiotiké von der Kristeva nicht
gelesen?«
»Nein, und ich habe auch überhaupt keine Lust, es zu
lesen«, erwiderte Montalbano, der allmählich ungehalten
wurde; langsam kam ihm der Verdacht, daß der Alte sich über
ihn lustig machte.
»Na gut«, sagte Alcide Maraventato resigniert. »Dann
erkläre ich es Ihnen an einem ganz einfachen Beispiel.«
Also auf meinem Niveau, dachte Montalbano. »Wenn Sie
als Commissario einen Erschossenen finden, dem man einen
Stein in den Mund gesteckt hat, was denken Sie dann?«
»Wissen Sie«, sagte Montalbano, entschlossen, sich zu
revanchieren, »das ist Schnee von gestern,
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