Commissario Montalbano 02 - Der Hund aus Terracotta
heute wird ohne
lange Erklärungen gemordet.«
»Aha. Dieser Stein im Mund ist für Sie also eine
Botschaft.«
»Natürlich.«
»Und was bedeutet er?«
»Er bedeutet, daß der Ermordete zuviel geredet hat, daß
er Dinge gesagt hat, die er nicht hätte sagen dürfen, daß er ein
Spitzel war.«
»Genau. Sie verstehen die Information, weil Sie über den
Code der in diesem Falle metaphorischen Sprache verfügen.
Aber wenn Sie nicht über den Code im Bilde wären, was
würden Sie dann verstehen? Überhaupt nichts. Dann wäre der
Tote für Sie ein zu bedauerndes Mordopfer, dem man
unerklärlicherweise einen Stein in den Mund gesteckt hat.«
»Langsam fange ich an zu begreifen«, sagte Montalbano.
»Also, um auf unser Thema zurückzukommen: Irgend
jemand bringt aus Gründen, die wir nicht kennen, zwei junge
Menschen um. Er kann die Leichen auf vielerlei Arten
verschwinden lassen, im Meer, unter der Erde, im Sand. Aber
nein, er legt sie in eine Höhle, und nicht nur das, er stellt eine
Schale, einen Krug und einen Hund aus Terracotta dazu. Was
hat er gemacht?«
»Er hat etwas mitgeteilt, eine Botschaft geschickt«, sagte
Montalbano leise.
»Es ist eine Botschaft, ganz recht, die Sie jedoch nicht
lesen können, weil Sie nicht über den Code verfügen«, stellte
der Pfarrer fest.
»Lassen Sie mich überlegen«, sagte Montalbano. »Die
Botschaft mußte doch an jemanden gerichtet sein, bestimmt
nicht an uns, fünfzig Jahre nach der Tat.«
»Und warum nicht?«
Montalbano dachte eine Weile darüber nach und erhob
sich dann.
»Ich gehe jetzt, ich habe Ihre Zeit schon zu lange in
Anspruch genommen. Was Sie mir gesagt haben, ist sehr
wertvoll für mich.«
»Ich könnte Ihnen noch mehr helfen.«
»Wie denn?«
»Sie sagten vorhin, heute werde gemordet, ohne daß
Erklärungen dazu abgegeben würden. Erklärungen gibt es
immer, und immer werden sie mitgeliefert, sonst würden Sie
nicht den Beruf ausüben, den Sie ausüben. Aber es gibt immer
mehr Codes und sie haben sich verändert.«
»Danke«, sagte Montalbano.
Sie hatten alici all'agretto gegessen, die Signora Elisa, die
Frau des Questore, routiniert und nach allen Regeln der Kunst
zubereitet hatte, denn das Geheimnis des Gelingens besteht
darin, auf die Sekunde genau zu wissen, wie lange die Form
im Ofen bleiben muß. Dann, nach dem Essen, hatte sich die
Signora ins Wohnzimmer zurückgezogen, um fernzusehen,
ihnen aber zuvor noch eine Flasche Chivas, eine Flasche
Amaro und zwei Gläser auf den Schreibtisch im
Arbeitszimmer ihres Mannes gestellt.
Beim Essen hatte Montalbano begeistert von Alcide
Maraventato erzählt, von seiner einzigartigen Lebensweise,
seiner Bildung, seiner Intelligenz, aber der Questore hatte nur
am Rande Interesse gezeigt, mehr aus Höflichkeit gegenüber
seinem Gast als aus wirklicher Anteilnahme.
»Hören Sie, Montalbano«, fing er an, sobald sie allein
waren, »ich kann gut verstehen, daß der Fund der beiden
Mordopfer in der Grotte sehr aufregend für Sie ist. Aber
gestatten Sie mir: Ich kenne Sie nun schon zu lange, um nicht
absehen zu können, daß Sie dieser Fall wegen seiner
unerklärlichen dunklen Seiten fasziniert und auch, weil sich
eine Lösung, sofern Sie eine fänden, doch letztlich als völlig
nutzlos erwiese. Eine Nutzlosigkeit, die Ihnen sehr
entgegenkäme und, bitte entschuldigen Sie, fast kongenial
wäre.«
»Was meinen Sie mit nutzlos?«
»Nutzlos, eben nutzlos, ist das so schwer zu verstehen?
Der oder – wenn wir großzügig sein wollen – die Mörder sind,
da inzwischen mehr als fünfzig Jahre vergangen sind,
entweder tot oder bestensfalls alte Leute in den Siebzigern.
Einverstanden?«
»Einverstanden«, gab Montalbano widerwillig zu.
»Und deshalb, bitte verzeihen Sie diese für mich
ungewöhnliche Ausdrucksweise, ist das keine Ermittlung, was
Sie da betreiben, sondern mentales Wichsen.«
Das saß, aber Montalbano hatte weder Kraft noch
Argumente, dem etwas entgegenzusetzen.
»Ich würde Ihnen diese Übung ja gönnen, wenn ich nicht
befürchten müßte, daß Sie ihr ja doch den besten Teil Ihres
Hirns widmen und Ermittlungen von weitaus größerer
Bedeutung und Tragweite vernachlässigen.«
»Nein! Das ist nicht wahr!« entrüstete sich Montalbano.
»Oh, doch. Sehen Sie, das soll beileibe kein Tadel sein,
wir unterhalten uns in meinem Haus, als Freunde. Warum
haben Sie den doch sehr heiklen Fall des Waffenhandels ihrem
Vice anvertraut, der ein
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