Commissario Montalbano 02 - Der Hund aus Terracotta
ertragen
konnte, gab er Gas, fuhr durch Vigàta, nahm die Straße
Richtung Montelusa, bog an der Abzweigung von Montaperto
nach links ab, fuhr ein paar Kilometer weiter, bog in einen
Feldweg ein und gelangte auf einen kleinen freien Platz, an
dem ein Bauernhaus stand. Er stieg aus. Gegès Schwester
Marianna, die seine Lehrerin gewesen war, saß auf einem
Stuhl neben der Tür und reparierte einen Korb. Als sie den
Commissario sah, ging sie ihm entgegen.
»Salvù, ich wußte, daß du kommen würdest.«
»Sie sind die erste, die ich nach dem Krankenhaus
besuche«, sagte Montalbano und umarmte sie.
Mariannina fing leise an zu weinen, sie klagte nicht, sie
weinte einfach, und auch Montalbano stiegen die Tränen in die
Augen.
»Hol dir einen Stuhl«, sagte Mariannina.
Montalbano setzte sich neben die Frau, und sie nahm
seine Hand und streichelte sie.
»Hat er gelitten?«
»Nein. Noch während sie schossen, wußte ich, daß Gegè
sofort tot war. Das wurde mir später auch bestätigt. Ich glaube,
er hat gar nicht begriffen, was passiert ist.«
»Stimmt es, daß du den getötet hast, der Gegè
umgebracht hat?«
» Sissi.«
» Wo Gegè auch immer ist, darüber freut er sich
bestimmt.« Mariannina seufzte und drückte fest Montalbanos
Hand. »Gegè hat dich sehr gern gehabt«, sagte sie.
Meu amigo de alma – der Titel dieses Buches von Mário
de Sá-Carneiro ging ihm durch den Kopf.
»Ich hab' ihn auch sehr gern gehabt«, sagte er. »Weißt du
noch, was er alles angestellt hat?«
Mißraten war er als Kind gewesen, ein Taugenichts.
Mariannina bezog sich offenbar nicht auf die letzten Jahre, auf
Gegès problematisches Verhältnis zum Gesetz, sondern auf
jene fernen Zeiten, in denen ihr jüngerer Bruder noch klein
und ein frecher Lausbub war. Montalbano lächelte.
»Erinnern Sie sich, wie er mal einen Knallfrosch in einen
Kupferkessel geschmissen hat, den gerade jemand repariert
hat, und der ist von dem Knall in Ohnmacht gefallen?«
»Und wie er mal den Tintenfisch in der Handtasche von
Signora Longo, der Lehrerin, ausgeleert hat?«
Zwei Stunden lang plauderten sie über Gegè und seine
Streiche, verweilten aber nur bei Geschichten, die in seiner
Jugend spielten.
»Es ist spät geworden, ich muß fahren«, sagte
Montalbano.
»Du kannst gern zum Essen bleiben, aber vielleicht ist es
zu schwer, und du verträgst es noch nicht.«
»Was gibt's denn?«
» Attuppateddri al suco.«
Attuppateddri waren kleine hellbraune Schnecken, die,
bevor sie in Winterschlaf fielen, ein Sekret absonderten, das
eine feste weiße Haut bildete, die die Öffnung des
Schneckenhauses verschloß. Im ersten Augenblick wollte
Montalbano angewidert ablehnen. Wie lange verfolgte ihn
diese Wahnvorstellung denn noch? Dann beschloß er
heldenhaft, die Einladung anzunehmen und sie als doppelte
Herausforderung für Magen und Seele zu betrachten. Als das
Essen, das einen allerfeinsten ockergelben Duft verströmte,
vor ihm stand, mußte er sich einen Ruck geben, aber nachdem
er den ersten attuppateddru mit einer Nadel herausgezogen
und gekostet hatte, fühlte er sich mit einemmal wie erlöst: Der
Wahn war verschwunden, die Melancholie ausgetrieben,
zweifellos würde auch sein Magen sich fügen.
Im Büro blieb ihm fast die Luft weg vor lauer Umarmungen,
Tortorella wischte sich sogar eine Träne aus dem
Augenwinkel.
»Ich weiß, wie das ist, wenn man angeschossen wurde
und dann wiederkommt!«
»Wo ist Augello?«
»In Ihrem Büro«, sagte Catarella.
Montalbano ging rein, ohne anzuklopfen, Mimì sprang
vom Schreibtischstuhl auf, als hätte ihn jemand beim Klauen
erwischt, und wurde rot.
»Ich habe nichts angerührt. Aber mit dem Telefonieren...«
»Ist schon in Ordnung, Mimì«, fiel Montalbano ihm ins
Wort und unterdrückte das Bedürfnis, ihm, der es gewagt
hatte, sich auf seinem Stuhl niederzulassen, einen Arschtritt zu
versetzen.
»Ich wollte heute noch zu dir nach Hause kommen«,
sagte Augello.
»Wozu?«
»Um den Personenschutz zu besprechen.«
»Für wen?«
»Was heißt hier für wen? Für dich natürlich. Es ist ja
nicht gesagt, daß die es nicht noch mal versuchen, nachdem es
das erste Mal schiefgegangen ist.«
»Du irrst dich, mir wird nichts mehr passieren. Weil du
auf mich hast schießen lassen, Mimì.«
Augello lief rot an und zitterte, als hätte ihm jemand
einen Starkstromstecker in den Hintern gesteckt. Dann sackte
sein Blut wohin auch immer, und er wurde
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