Commissario Montalbano 02 - Der Hund aus Terracotta
Magisches. Montalbano blieb vor
einem kleinen Secondhandladen stehen.
»Als ich zur Uni ging und hier immer Brot mit mèusa aß,
wogegen meine Leber heute rebellieren würde, war das hier
ein Laden, wie es keinen zweiten gab. Jetzt verkaufen sie
gebrauchte Klamotten, damals waren die Regale alle leer. Der
Besitzer, Don Cesarino, saß hinter dem Ladentisch, der auch
vollkommen leer war, und empfing seine Kunden.«
»Was für Kunden denn, wenn die Regale leer waren?«
»Sie waren nicht wirklich leer, sie waren sozusagen voller
Absichten, voller Anfragen. Dieser Mann verkaufte Dinge, die
auf Bestellung gestohlen wurden. Man ging zu Don Cesarino
und sagte: Ich brauche eine Uhr, die so und so ist. Oder: Ich
hätte gern ein Bild, was weiß ich, ein Bild vom Meer aus dem
neunzehnten Jahrhundert. Oder: Ich brauche einen Ring in der
und der Art. Er nahm die Bestellung auf, schrieb sie auf ein
Stück Einwickelpapier, das gelbliche, grobe, wie man es
früher hatte, verhandelte über den Preis und sagte, wann man
wieder vorbeikommen sollte. Zum vereinbarten Datum, auf
den Tag genau, zog er die gewünschte Ware unter dem Tisch
hervor und händigte sie einem aus. Reklamationen duldete er
nicht.«
»Entschuldige, aber wozu brauchte er einen Laden? Ich
meine: Den Beruf konnte er doch überall ausüben, in einer
Bar, an einer Straßenecke...«
»Weißt du, wie seine Freunde von der Vuccirìa ihn
nannten? Don Cesarino u Putiàru, der Kaufmann. Denn Don
Cesarino hielt sich weder für einen Informanten, wie man
heute sagt, noch für einen Hehler, sondern er war ein Händler
wie viele andere auch, und der Laden, für den er Miete und
Strom zahlte, war der Beweis dafür. Er war keine Fassade,
kein Deckmäntelchen.«
»Ihr spinnt doch alle.«
»Wie mein eigenes Kind! Lassen Sie sich wie mein eigenes
Kind umarmen!« rief die Frau des Preside und drückte ihn
eine Weile fest an ihre Brust.
»Sie glauben ja gar nicht, wie sehr wir uns um Sie gesorgt
haben!« setzte ihr Mann noch eins drauf.
Der Preside hatte ihn morgens angerufen und ihn zum
Abendessen eingeladen, Montalbano hatte statt dessen ein
Zusammensein am Nachmittag vorgeschlagen. Sie führten ihn
ins Wohnzimmer.
»Lassen Sie uns gleich zur Sache kommen, dann verlieren
Sie nicht soviel Zeit«, fing Preside Burgio an.
»Ich habe alle Zeit der Welt, ich bin momentan
arbeitslos.«
»Meine Frau hat Ihnen, als Sie neulich zum Abendessen
bei uns waren, doch erzählt, daß ich sie phantastisch finde.
Nun gut, sobald Sie aus der Tür waren, hat sie ihrer Phantasie
freien Lauf gelassen. Ich wollte Sie schon früher anrufen, aber
wir wissen ja, was dann passiert ist.«
»Wollen wir nicht den Signor Commissario selbst
beurteilen lassen, ob das Phantasien sind?« meinte die Signora
ein bißchen pikiert und dann herausfordernd: »Redest du, oder
rede ich?«
»Phantasien sind deine Sache.«
»Ich weiß nicht, ob Sie sich noch erinnern, aber als Sie
meinen Mann fragten, wo Sie Lillo Rizzitano finden könnten,
da sagte er, er habe seit Juli 1943 keine Nachricht mehr von
ihm. Da ist mir etwas eingefallen. Auch ich habe nämlich in
der gleichen Zeit eine Freundin aus den Augen verloren, das
heißt, sie ist dann schon wieder aufgetaucht, aber auf eine
recht merkwürdige Weise, die...«
Montalbano lief es kalt den Rücken hinunter, die beiden
vom Crasticeddru waren blutjung gewesen, als sie ermordet
wurden.
»Wie alt war Ihre Freundin damals?«
»Siebzehn. Aber sie war viel reifer als ich, ich war ja
noch so kindlich. Wir gingen zusammen in die Schule.«
Sie öffnete einen Briefumschlag, der auf dem Tisch lag,
zog ein Foto heraus und zeigte es Montalbano.
»Das haben wir am letzten Schultag gemacht, in der
dritten Klasse des Gymnasiums. Sie ist ganz links in der
letzten Reihe, daneben, das bin ich.«
Alle lachend, in der faschistischen Uniform der Giovani
Italiane, ein Lehrer, den Arm zum römischen Gruß
ausgestreckt.
»Aufgrund der schlimmen Situation auf der Insel wegen
der Bombenangriffe schlossen die Schulen am letzten Tag im
April, und wir kamen um die gräßliche Abiturprüfung herum,
unsere bisherigen Noten gaben den Ausschlag, ob wir
bestanden oder sitzenblieben. Lisetta Moscato, so hieß meine
Freundin, zog mit ihrer Familie in ein kleines Dorf im
Inselinneren. Sie schrieb mir jeden zweiten Tag, und ich habe
alle ihre Briefe aufbewahrt, das heißt die, die ankamen.
Wissen Sie, die Post in diesen Zeiten... Auch
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