Commissario Montalbano 03 - Der Dieb der süssen Dinge
richtiger Onkel sei, und zwar der Bruder seiner Mutter. »Er muß sofort mit«, sagte Montalbano. »Wohin denn?«
»Ins Büro, ich will ihm ein Foto zeigen.«
»Kommt gar nicht in Frage, das Foto nimmt dir keiner weg.
Francois muß erst essen. Und dann fahre ich mit; du bist ja imstande und verlierst das Kind unterwegs.«
Die pasta war zerkocht, praktisch ungenießbar.
Catarella hatte Wache. Als die nette kleine Familie um diese Uhrzeit bei ihm aufkreuzte und er das Gesicht seines Chefs sah, blickte er ganz finster und wurde nervös. «Dottori, hier ist alles in Ordnung, alles ruhig.«
»Aber in Tschetschenien nicht.«
Der Commissario nahm die Fotos, die er aus Karimas Zimmer mitgenommen hatte, aus der Schublade, wählte eines aus und zeigte es dem Jungen. Francois führte es wortlos an die Lippen und küßte das Bild seiner Mutter. Livia unterdrückte mühsam einen Schluchzer. Die Frage war eigentlich überflüssig - so eindeutig war die Ähnlichkeit zwischen dem Mann auf dem Bildschirm und dem Mann in Uniform auf dem Foto mit Karima. Doch der Commissario fragte dennoch. »Ist das ton oncle ?«
» Oui.«
»Comment s'appellet'il?«
Er beglückwünschte sich zu seinem Eiffelturm-Moulin-Rouge-Touristenfranzösisch.
»Ahmed«, antwortete das Kind.
»Seulement Ahmed?«
»Oh, non. Ahmed Moussa.«
»Er ta mère? Comment s'appelle?«
»Karima Moussa«, sagte Francois, zuckte mit den Schultern und lächelte, weil die Antwort doch logisch war. Montalbano ließ seinen Ärger an Livia aus, die eine solche Attacke nicht erwartet hatte.
»Scheiße ! Du bist Tag und Nacht mit dem Kind zusammen, spielst mit ihm, bringst ihm Dame bei und weißt nicht, wie es heißt! Du hättest es doch nur zu fragen brauchen, oder? Und Mimi, dieser Vollidiot! Der große Ermittler! Bringt ihm Eimerchen, Schäufelchen, Sandförmchen und süßes Zeug, und anstatt mit dem Kind zu reden, redet er nur mit dir!«
Livia reagierte nicht, und Montalbano schämte sich sofort für seinen Ausbruch.
»Entschuldige, Livia, aber ich bin nervös.«
»Das merkt man.«
»Frag ihn, ob er seinen Onkel überhaupt schon mal gesehen hat, auch in letzter Zeit.«
Sie sprachen miteinander, dann erklärte Livia, daß er ihn in letzter Zeit nicht gesehen habe, aber als Francois drei Jahre alt gewesen sei, habe seine Mutter ihn nach Tunesien mitgenommen, und dort habe er seinen Onkel zusammen mit anderen Männern gesehen. Aber so richtig könne er sich nicht daran erinnern, er sage das nur, weil seine Mutter ihm davon erzählt habe.
Es hatte also, folgerte Montalbano, vor zwei Jahren eine Art Gipfeltreffen stattgefunden, bei dem auf irgendeine Art und Weise das Schicksal des armen Lapecora entschieden wurde.
»Hör zu, du gehst jetzt mit Francois ins Kino, ihr schafft es noch rechtzeitig in die letzte Vorstellung, dann kommt ihr wieder her. Ich hab' zu tun.«
»Pronto, Buscamo! Montalbano hier. Ich habe gerade den vollständigen Namen dieser Tunesierin erfahren, die in Villaseta wohnt, erinnerst du dich?«
»Klar. Karima.«
»Sie heißt Karima Moussa. Könntest du dem bei euch im Ausländeramt mal nachgehen?« «Commissario, soll das ein Witz sein?«
»Nein, ganz und gar nicht. Warum?«
»Wie bitte? ! Sie mit Ihrer Erfahrung stellen mir eine solche Frage?«
»Wie meinst du das?«
»Sehen Sie, Commissario, nicht mal wenn Sie mir den Namen des Vaters und der Mutter, die Namen der Großeltern väterlicherseits und mütterlicherseits, Geburtsort und Geburtsdatum nennen…«
»Zappendüster?«
»Wie sollte es anders sein? In Rom können sie Gesetze machen, so viele sie wollen, aber hier kommen und gehen Tunesier, Marokkaner, Libyer, Senegalesen, Nigerianer, Albaner, Serben, Kroaten, Leute von den Kapverdischen Inseln und aus Ruanda, wie es ihnen gerade paßt. Es ist wie im Kolosseum, da gibt es keine Tür, die man zumachen könnte. Daß wir neulich die Adresse dieser Karima erfahren haben, gehört zu den Wundern, nicht zu den alltäglichen Dingen.«
»Versuch's trotzdem.«
»Montalbano? Was soll diese Geschichte, Sie seien hinter einem Eierkuchendieb her? Ein Verrückter?«
»Aber nein, Signor Questore, es handelte sich um einen kleinen Jungen, der anderen Kindern ihre Vesper gestohlen hat, weil er Hunger hatte. Das ist alles.«
»Was heißt hier »das ist alles«? Ich weiß ja, daß Sie bisweilen etwas neben der Spur sind, aber diesmal muß ich offen gestanden sagen…«
»Signor Questore, ich verspreche, daß so etwas nicht mehr vorkommt. Es war
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