Commissario Montalbano 05 - Das Spiel des Patriarchen
Kindergarten unerklärlicherweise in ein Schlachtfeld. Die Anwesenden schubsten einander, stellten sich ein Bein, hielten sich gegenseitig am Arm oder an der Jacke fest und bestürmten den Commissario, um zuerst dranzukommen. Und während der Handgreiflichkeiten redeten und schrien sie, sodass Montalbano von dem unverständlichen Stimmengewirr ganz betäubt war.
»Was ist denn hier los?«, fragte er in militärischem Tonfall. Es wurde relativ ruhig.
»Dass mir ja niemand bevorzugt wird!«, rief einer, ein Winzling, und stellte sich dem Commissario vor die Nase. »Wir müssen in streng alphabetischer Reihenfolge aufgerufen werden!«
»Nossignori e nossignori! Wir müssen nach dem Alter aufgerufen werden!«, verkündete wütend ein Zweiter. »Wie heißen Sie?«, fragte der Commissario den Winzling, dem es gelungen war, als Erster zu reden. »Abate Luigi heiße ich«, sagte er und blickte, wie um mögliche Einwände zu unterbinden, in die Runde. Montalbano gratulierte sich selbst, weil er seine Wette gewonnen hatte. Er hatte sich gesagt, dass der Winzling, Verfechter des Aufrufs in alphabetischer Reihenfolge, mit Nachnamen bestimmt Abate oder Abete hieß, denn Namen wie Alvar Aalto gab es in Sizilien nicht. »Und Sie?«
»Zotta Arturo. Und ich bin der Älteste von allen Anwesenden!«
Auch beim Zweiten hatte er sich nicht geirrt. Nachdem der Commissario sich mühsam einen Weg durch dieses Dutzend Personen, die hundert zu sein schienen, gebahnt hatte, verbarrikadierte er sich mit Fazio und Galluzzo in seinem Zimmer; Catarella hatte er zur Bewachung dagelassen, um weitere Senatorenaufstände einzudämmen.
»Wie kommt es, dass schon alle da sind?«
»Commissario, wenn Sie's genau wissen wollen, heute früh um acht sind vier der Vorgeladenen erschienen, zwei Ehemänner mit zwei Frauen. Was soll man machen, sie sind alt, sie leiden unter Schlaflosigkeit, die Neugier frisst sie bei lebendigem Leib auf. Drüben ist sogar ein Ehepaar, das erst um zehn kommen sollte«, erklärte Fazio. »Hört zu, wir müssen uns absprechen. Ihr könnt ihnen die Fragen stellen, die ihr selbst für zweckmäßig haltet. Aber einige sind unbedingt notwendig. Macht euch Notizen. Erste Frage: Kannten Sie das Ehepaar Griffo schon vor dem Ausflug? Wenn ja, woher, wieso und seit wann. Wenn jemand sagt, er habe die Griffos vorher gekannt, dann lasst ihn nicht weggehen, ich will selbst mit ihm sprechen. Zweite Frage: Wo saßen die Griffos im Bus, sowohl auf der Hin- wie auf der Rückfahrt? Dritte Frage: Haben die Griffos während des Ausflugs mit jemandem geredet? Wenn ja, worüber? Vierte Frage: Wissen Sie, was die Griffos an dem Tag, den sie in Tindari verbrachten, gemacht haben? Haben sie Leute getroffen? Sind sie in irgendein Privathaus gegangen? Jegliche Angabe dazu ist äußerst wichtig. Fünfte Frage: Wissen Sie, ob die Griffos bei einem der drei außerplanmäßigen Stopps, die während der Rückfahrt auf Bitte der Fahrgäste eingelegt wurden, den Bus verlassen haben? Wenn ja, bei welchem der drei? Haben Sie sie wieder einsteigen sehen? Sechste und letzte Frage: Haben Sie sie nach der Ankunft in Vigàta gesehen?«
Fazio und Galluzzo sahen sich an.
»Wenn ich recht verstehe, denken Sie, dass den Griffos auf der Rückfahrt etwas zugestoßen ist«, sagte Fazio.
»Das ist nur eine Hypothese. Mit der wir uns befassen müssen. Wenn uns jemand sagt, dass er die beiden gesehen hat, wie sie in Vigàta in aller Ruhe ausgestiegen und nach Hause gegangen sind, können wir diese Hypothese vergessen. Und müssen ganz von vorn anfangen. Eines lege ich euch ans Herz, versucht, beim Thema zu bleiben. Wenn wir diese Alten reden lassen, können wir einpacken, dann erzählen sie uns ihre ganze Lebensgeschichte. Und noch was: Befragt die Ehepaare so, dass einer die Frau und der andere den Mann nimmt.«
»Warum denn?«, fragte Galluzzo.
»Weil sie sich gegenseitig beeinflussen würden, auch ganz unbeabsichtigt. Ihr beide nehmt jeder drei, ich nehme die anderen. Wenn ihr es macht, wie ich euch gesagt habe, und die Madonna uns beisteht, haben wir das bald hinter uns.«
Von der ersten Befragung an war dem Commissario klar, dass seine Prognose höchstwahrscheinlich nicht stimmte und jedes Gespräch leicht ins Absurde abgleiten konnte. »Wir haben uns vorhin kennen gelernt. Ich glaube, Sie heißen Arturo Zotta, stimmt's?«
»Natürlich stimmt das. Zotta Arturo, Sohn des verstorbenen Giovanni. Mein Vater hatte einen Cousin, der war Klempner. Mit dem ist er
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