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Commissario Montalbano 06 - Der Kavalier der späten Stunde

Commissario Montalbano 06 - Der Kavalier der späten Stunde

Titel: Commissario Montalbano 06 - Der Kavalier der späten Stunde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Camilleri
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sagte der Mann und schlug dabei mit der linken Hand auf den rechten Unterarm, den er vorgestreckt hatte. »Fili!«, tadelte ihn seine Frau mit ihrer zweiten Stimme, der vom Jüngsten Gericht. Die Fensterscheiben klirrten.
    »Halten Sie Filippo Manganaro für so blöd, dass er Gar­gano ins Netz geht? Wo ich nicht mal wollte, dass meine Tochter bei diesem Betrüger arbeitet!«
    »Kannten Sie Gargano schon vorher?«
    »Nein. Das war auch nicht nötig, weil die Banken, die Ban­ker, die von der Börse, eben alle, die mit Geld zu tun haben, sowieso nur Betrüger sein können. Das liegt in der Natur der Sache, signore mio. Wenn Sie wollen, erklär ich Ihnen das. Haben Sie zufällig mal ein Buch gelesen, das Das Ka­pital von Marx heißt?«
    »Reingeschaut«, sagte Montalbano. »Sind Sie Kommunist?«
    »Schieß los, Turi!«
    Der Commissario hatte die Antwort nicht verstanden und sah ihn fragend an. Wer sollte denn dieser Turi sein? Er wusste es einen Augenblick später, als sich der echte Papa­geienzwilling, der anscheinend Turi hieß, räusperte und die Internationale anstimmte. Er sang sie wirklich gut, und Montalbano spürte, wie eine Welle der Nostalgie in ihm hochstieg. Er wollte dem Lehrer schon ein Kom­pliment machen, als Michela in der Tür erschien. Montalbano staunte, als er sie sah. Alles hatte er erwartet, aber nicht diese ziemlich große, kräftige junge Frau, dunkel­haarig mit veilchenblauen Augen und von der Erkältung leicht geröteter Nase, schön und voller Leben, in einem kurzen Rock bis halb über die wohl gerundeten Schenkel und einem weißen Blüschen, in das der Busen, der nicht in einen Büstenhalter eingepfercht war, mit knapper Not hineinpasste. Ein schneller, boshafter Gedanke, wie wenn eine Viper durchs Gras huscht, ging Montalbano durch den Kopf. Bestimmt hatte der schöne Gargano mit einem solchen Mädchen seinen Spaß gehabt, oder zumindest hatte er es versucht. »Bitte, zu Ihrer Verfügung.«
    Zu Ihrer Verfügung? Ihre tiefe und ein bisschen heisere Stimme klang nach Marlene Dietrich, und Montalbano wurde es so anders, dass er sich zusammennehmen musste, nicht wie der Professor im Blauen Engel zu krähen. Das Mädchen setzte sich und zog dabei den Rock so weit wie möglich Richtung Knie, zerknirscht, Blick gesenkt, eine Hand auf einem Bein, die andere auf der Armlehne. Die Pose der braven Tochter aus gutem Hause, fleißig und ehr­lich. Der Commissario fand seine Sprache wieder. »Es tut mir Leid, dass Sie aufstehen mussten.«
    »Ist schon gut.«
    »Ich möchte Ihnen einige Fragen stellen über Ragioniere Gargano und die Agentur, in der Sie gearbeitet haben.«
    »Bitte sehr. Aber Sie müssen wissen, dass mich schon einer aus Ihrem Kommissariat befragt hat. Dottor Augello, glaube ich. Unter uns gesagt, schien er sich allerdings viel mehr für etwas anderes zu interessieren.«
    »Für etwas anderes?«
    Während er das fragte, bereute er es schon. Er hatte ver­standen. Und stellte sich die Szene vor: Mimi, der ihr eine Frage nach der anderen stellte, und unterdessen zog sein Blick ihr langsam Bluse, Büstenhalter (wenn sie an jenem Tag einen anhatte), Rock und Slip aus. Wie hätte Mimi einer solchen Schönheit auch widerstehen können! Montalbano dachte an die Braut, an Beatrice, wie viele bittere Pillen würde die Ärmste schlucken müssen! Das Mädchen gab keine Antwort, sie begriff, dass der Commissario be­griffen hatte. Und sie lächelte, besser gesagt, sie ließ ein Lächeln ahnen, denn sie hielt den Kopf gesenkt, wie es sich einem Fremden gegenüber gehört. Zufrieden betrach­teten der Papagei und der Spatz ihr Geschöpf. Da hob das Mädchen die veilchenblauen Augen und sah den Commissario wie in Erwartung der Fragen an. In Wirklichkeit sprach sie zu ihm, deutlich sagte sie ohne Worte:
    Vertu hier nicht deine Zeit. Ich kann nicht sprechen. Warte unten auf mich.
    Botschaft angekommen, sagten Montalbanos Augen.
    Der Commissario beschloss, keine Zeit mehr zu verlieren.
    Er gab sich erstaunt und verlegen.
    »Sie wurden tatsächlich schon befragt? Und alles ist zu Protokoll genommen?«
    »Natürlich.«
    »Wieso habe ich nichts vorgefunden?«
    »Keine Ahnung. Fragen Sie Dottor Augello, der nicht nur ein Angeber ist, sondern derzeit wegen seiner Heirat mit dem Kopf auch ganz woanders.«
    Da ging ihm ein Licht auf. Was ihn gewarnt hatte, war der »Angeber«, der ersetzte in Gegenwart der altmodischen Eltern natürlich das Wort »Arschloch«, das weitaus präg­nanter war, wie das in der

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