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Commissario Montalbano 07 - Das kalte Lächeln des Meeres

Commissario Montalbano 07 - Das kalte Lächeln des Meeres

Titel: Commissario Montalbano 07 - Das kalte Lächeln des Meeres Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Camilleri
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Livia, ich hatte wirklich einen harten Tag. Ich bin sehr müde und habe keine Lust auf …«
    »Bist du wirklich so müde?«
    »Ja.«
    »Ruf doch Ingrid an, die päppelt dich bestimmt wieder auf.«
    Gegen Livia würde er jeden Angriffskrieg verlieren. Bei einem Verteidigungskrieg hätte er vielleicht mehr Glück.
    »Warum kommst nicht du?«
    Eigentlich war das als taktischer Einwurf gedacht, aber er sagte es so aufrichtig, dass Livia unsicher wurde.
    »Meinst du das ernst?«
    »Natürlich. Was ist heute, Dienstag? Gut, du gehst morgen ins Büro und nimmst ein paar Tage frei. Dann steigst du ins Flugzeug und kommst her.«
    »Ich glaube fast -«
    »Kein fast.«
    »Salvo, an mir soll's nicht liegen … Aber wir haben viel Arbeit im Büro. Ich werd's versuchen.«
    »Ich will dir nämlich auch erzählen, was ich heute Abend erlebt habe.«
    »Erzähl doch jetzt.«
    »Nein, ich will dir dabei in die Augen schauen.«
    Sie telefonierten eine halbe Stunde miteinander. Und sie hätten gern noch länger telefoniert.
    Wegen des Gesprächs hatte er die Nachrichten in »Retelibera« verpasst.
    Er schaltete trotzdem den Fernseher an und stellte »Televigata« ein.
    Als Erstes wurde berichtet, dass sich, während in Vigàta einhundertfünfzig Flüchtlinge an Land gebracht wurden, in Scroglitti, im Osten der Insel, eine Tragödie ereignet hatte. Bei Unwetter war ein Kutter voller Zuwanderer an den Felsen zerschellt. Bislang waren fünfzehn Leichen geborgen worden.
    »Aber die Zahl der Opfer wird mit Sicherheit noch steigen«, lautete der, nun ja, zum Gemeinplatz verkommene Kommentar des Reporters.
    Dabei wurden Ertrunkene gezeigt, leblos herabbaumelnde Arme, nach hinten hängende Köpfe, Kinder, in nutzlose Decken gehüllt, die dem Tod keine Wärme mehr gaben, die verzerrten Gesichter der Helfer, hektisches Gerenne zu den Krankenwagen, ein Pfarrer, der auf Knien betete.
    Erschütternde Bilder. Schon, aber wen erschütterten sie noch?, fragte sich der Commissario. Man wurde dermaßen überflutet von den so verschiedenen und doch so ähnlichen Bildern, dass man sich allmählich daran gewöhnte.
    Man sah sie, sagte »die Ärmsten« und aß weiter seine spaghetti alle vongole.
    Vor diesen Bildern erschien das Hühnerarschgesicht von Pippo Ragonese.
    »In solchen Fällen«, erklärte der Starreporter des Senders, »ist es unbedingt notwendig, kühle Vernunft walten und sich nicht von spontanen Gefühlen übermannen zu lassen. Etwas Grundlegendes muss bedacht werden: Unsere christliche Kultur darf nicht durch unkontrollierte Horden von Hungerleidern und Kriminellen untergraben werden, die tagtäglich an unseren Küsten an Land gehen.
    Diese Leute stellen eine echte Gefahr für uns, für Italien, für die ganze westliche Welt dar. Das kürzlich von unserer Regierung verabschiedete Gesetz Cozzi-Pini ist, was auch immer die Opposition dazu sagen mag, das einzig wahre Bollwerk gegen die Invasion. Doch hören wir hierzu die Meinung eines aufgeschlossenen Politikers, des Abgeordneten Cenzo Falpalà.«
    Falpalà setzte immer eine Miene auf, als wollte er allen klar machen, dass er sich von nichts und niemandem auf der Welt verarschen ließ.
    »Ich will nur eine kurze Erklärung abgeben. Wie man sieht, greift das Gesetz Cozzi-Pini hervorragend, und wenn Flüchtlinge umkommen, dann gerade deshalb, weil das Gesetz das Instrumentarium zur Verfolgung der Bootsführer liefert, die in einer schwierigen Situation keine Skrupel haben, die verzweifelten Menschen ins Meer zu werfen, um sich ihrer Verhaftung zu entziehen. Außerdem möchte ich noch sagen -«
    Montalbano sprang auf und schaltete um, weniger aus Wut, sondern weil ihn diese anmaßende Dummheit deprimierte. Die Regierung bildete sich ein, eine Massenmigration mit polizeilichen Maßnahmen und Gesetzesvorlagen stoppen zu können. Er musste an eine Kirche denken, die er in einem Dorf in der Toscana gesehen hatte und deren Türangeln von einem mächtigen Druck so verbogen waren, dass sie sich entgegen der vorgesehenen Richtung drehten.
    Er hatte jemanden aus dem Ort danach gefragt. Und der erzählte, dass die Nazis im Krieg die Männer aus dem Dorf in die Kirche getrieben, das Portal abgesperrt und dann von oben Handgranaten hineingeworfen hätten. Da hätten die Menschen vor Verzweiflung die Tür in umgekehrter Richtung aufgebrochen und viele hätten fliehen können.
    Ja: In diesen Menschen, die aus bitterarmen und zerstörten Teilen der Welt kamen, steckte eine solche Kraft, eine solche

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