Commissario Montalbano 07 - Das kalte Lächeln des Meeres
Verzweiflung, dass sie die Angeln der Geschichte in die Gegenrichtung drehen konnten. Ob Cozzi, Pini, Falpalà und Konsorten das nun wollten oder nicht. Sie waren Ursache und Wirkung einer Welt, in der Terroristen mit einem Schlag dreitausend Amerikaner töteten, einer Welt, in der Amerikaner Hunderte und Aberhunderte von toten Zivilisten infolge ihrer Bombenangriffe als »Kollateralschaden« bezeichneten, Autofahrer Leute überfuhren und nicht anhielten, Mütter ihre Kinder grundlos in der Wiege umbrachten, Kinder ihren Müttern, Vätern, Geschwistern des Geldes wegen die Kehle durchschnitten, einer Welt, in der falsche Bilanzen neuen Regelungen zufolge nicht als falsch galten, Leute seit Jahren hinter Gitter gehörten, jedoch nicht nur frei herumliefen, sondern obendrein Gesetze erließen oder dem Volk aufzwangen.
Um sich zu beruhigen und seinen Unmut ein bisschen zu dämpfen, zappte Montalbano weiter durchs Programm, bis er bei einer Regatta mit zwei übers Wasser jagenden Segelbooten hängen blieb.
»Der lang erwartete und harte, aber sehr sportliche Kampf zwischen den beiden Booten, die seit jeher Rivalen sind, der Stardust und der Brigadoon, geht auf sein Ende zu.
Und noch immer ist nicht abzusehen, wer dieses großartige Rennen gewinnt. Die nächste Halse wird zweifellos entscheidend sein«, rief der Reporter.
Panoramaschwenk von einem Hubschrauber aus. Hinter den beiden Schiffen an der Spitze mühte sich ein Dutzend weiterer Boote ab.
»Sie sind an der Boje!«, schrie der Reporter.
Eines der beiden Boote drehte in einem äußerst eleganten Manöver ab, fuhr knapp um die Boje herum und sauste den gleichen Weg zurück.
»Was ist denn mit der Stardust los? Da stimmt was nicht!«, rief der Reporter aufgeregt.
Seltsamerweise hatte die Stardust keine Anstalten zu einem Manöver gemacht, sondern schoss noch schneller weiter, im wahrsten Sinn des Wortes mit Rückenwind.
War es möglich, dass sie die Boje übersehen hatte? Und dann geschah etwas Unglaubliches. Die Stardust, anscheinend außer Kontrolle, weil vielleicht das Ruder gebrochen war, rammte mit voller Wucht eine Art Fischerkahn, der auf ihrem Kurs lag.
»Das ist unglaublich! Sie hat das Boot der Wettkampfleitung voll erwischt! Die beiden Boote sinken! Die ersten Helfer sind schon unterwegs! Unglaublich! Es scheint niemand verletzt zu sein. Glauben Sie mir, liebe Zuschauer, so etwas habe ich in all den Jahren als Reporter bei Segelregatten noch nie erlebt!«
Und da fing der Reporter an zu lachen. Montalbano lachte auch und schaltete den Fernseher aus.
Er schlief schlecht und schrak immer wieder benommen aus kurzen Träumen hoch. Einer war besonders merkwürdig. Montalbano war bei Dottor Pasquano, der einen Tintenfisch obduzieren musste.
Niemand wunderte sich, Pasquano und seine Assistenten betrachteten die Sache als ganz normalen Vorgang. Nur Montalbano kam die Situation komisch vor.
»Entschuldigen Sie, Dottore, aber seit wann obduziert man denn Tintenfische?«, fragte er.
»Wissen Sie das gar nicht? Eine neue Ministerialverordnung.«
»Ah. Und was machen Sie dann mit den Resten?«
»Sie werden an die Armen verteilt, die essen sie.«
Aber der Commissario war nicht überzeugt.
»Ich verstehe den Grund für diese Verordnung nicht.«
Pasquano sah ihn lange an und sagte dann:
»Weil die Dinge nicht so liegen, wie es scheint.«
Und Montalbano erinnerte sich, dass der Dottore über die Leiche, die er gefunden hatte, das Gleiche zu ihm gesagt hatte.
»Wollen Sie zuschauen?«, fragte Pasquano, hob das Skalpell und senkte es wieder.
Und plötzlich verwandelte sich der Tintenfisch in ein Kind, ein schwarzes Kind. Es war zwar tot, aber die Augen waren weit aufgerissen.
Beim Rasieren musste er an die Szenen am Kai denken. Und er empfand, während er sie mit kühlem Kopf Revue passieren ließ, ein Gefühl von Gereiztheit, von Unbehagen.
Etwas stimmte nicht, irgendein Detail passte nicht. Er verbiss sich in diese Szenen, ließ sie an sich vorüberziehen, versuchte sie scharf einzustellen. Ohne Erfolg. Resigniert gab er auf. Das war ein sicheres Zeichen, dass er alt wurde, früher hätte er die Schwachstelle, den Misston im Gesamtbild sicher gefunden.
Am besten dachte er nicht mehr daran.
Fünf
Im Büro rief er gleich Fazio zu sich. »Gibt's was Neues?« Fazio sah ihn erstaunt an.
»Dottore, dafür war die Zeit zu kurz. Ich hab doch gerade erst angefangen. Hier und in Montelusa hab ich natürlich die Vermisstenanzeigen durchgesehen
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