Commissario Montalbano 07 - Das kalte Lächeln des Meeres
nachsehen.« Nach zehn Minuten kam sie zurück.
»Wie ich dachte. Eine Afrikanerin mit gebrochenem Bein wurde nicht eingeliefert. Wir haben eine, die sich den Arm gebrochen hat.«
»Kann ich sie sehen?«
»Wer sind Sie eigentlich?«
»Commissario Montalbano.«
Die Krankenschwester sah ihn an. Anscheinend fand sie, dass der Mann, der da vor ihr stand, wirklich ein Bullengesicht hatte, denn sie sagte nur:
»Kommen Sie mit.«
Die Frau mit dem gebrochenen Arm war erstens nicht schwarz, sondern sah aus, als hätte sie sich in der Sonne bräunen lassen; zweitens war sie hübsch, schmal und jung.
»Wissen Sie«, sagte Montalbano etwas verwirrt, »ich habe gestern nämlich selbst gesehen, wie die Sanitäter sie mit dem Krankenwagen weggefahren haben …«
»Fragen Sie doch mal in der Notaufnahme.«
Richtig. Vielleicht hatte sich der Sanitäter mit seiner Diagnose ja geirrt. Möglicherweise war der Fuß nur verrenkt und die Frau hatte gar nicht stationär aufgenommen werden müssen.
In der Notaufnahme erinnerte sich keiner der drei Krankenpfleger, die am Abend zuvor Dienst gehabt hatten, an eine Schwarze mit gebrochenem Bein und drei Kindern im Schlepptau.
»Welcher Arzt hatte denn Dienst?«
»Dottor Mendolìa. Aber der hat heute frei.«
Fluchend brachte er sie mühsam dazu, die Telefonnummer des Arztes herauszurücken. Dottor Mendolìa war höflich, aber bestimmt: Er habe keine Afrikanerin mit gebrochenem Bein gesehen. Nein, auch keine mit verrenktem Knöchel. Auf Wiederhören.
Auf dem Platz vor der Klinik standen mehrere Krankenwagen. In der Nähe unterhielten sich ein paar Leute in weißen Kitteln. Montalbano trat zu ihnen und erkannte den hageren Sanitäter mit dem Oberlippenbart. Der erkannte ihn ebenfalls.
»Waren Sie gestern Abend nicht …«
»Ja. Ich bin Commissario Montalbano. Wo haben Sie die Frau mit dem gebrochenen Bein und den drei Kindern hingebracht?«
»Hier in die Notaufnahme. Aber ich hatte mich getäuscht, das Bein war nicht gebrochen. Sie ist sogar allein ausgestiegen, wenn auch etwas mühsam. Ich habe sie in die Notaufnahme gehen sehen.«
»Warum haben Sie sie nicht begleitet?«
»Mein lieber Commissario, wir wurden nach Scroglitti gerufen. Dort war eine Katastrophe. Wieso fragen Sie? Finden Sie die Frau nicht?«
Sechs
Bei Tag sah man, dass Riguccio blass und unrasiert war und Ringe unter den Augen hatte. Montalbano erschrak.
»Bist du krank?«
»Ich bin müde. Wir können nicht mehr, meine Leute und ich. Jeden Abend kommen Boote, und jedes Mal haben wir es mit zwanzig bis hundertfünfzig Flüchtlingen zu tun.
Der Questore ist in Rom, um die Situation zu erläutern und weitere Beamte anzufordern. Ha! Schöne Worte wird er mitbringen! Was brauchst du denn?«
Als Montalbano ihm vom Verschwinden der Frau und der drei Kinder erzählt hatte, sagte Riguccio kein Wort. Er blickte lediglich von den Unterlagen auf, die sich auf dem Schreibtisch stapelten, und sah ihn an.
»Du machst es dir ja einfach«, fuhr ihn der Commissario an.
»Und was soll ich deiner Meinung nach tun?«, entgegnete Riguccio.
»Was weiß ich, keine Ahnung, Nachforschungen anstellen, eine Suchmeldung rausgeben -«
»Was hast du eigentlich gegen die armen Leute?«
»Ich?!«
»Ja, du. Du stürzt dich ja richtig auf sie.«
»Ich stürze mich auf sie?! Du bist doch mit dieser Regierung auf einer Wellenlänge!«
»Nicht immer. Manchmal ja, manchmal nein. Montalbà, um es kurz zu machen, ich gehe sonntags in die Kirche, weil ich gläubig bin. So, und jetzt sage ich dir, wie das gelaufen ist, und zwar nicht zum ersten Mal. Weißt du, diese Frau hat alle verarscht, dich, die Sanitäter -«
»Sie hat nur so getan, als würde sie hinfallen?«
»Genau, alles Show. Ihr lag daran, in die Notaufnahme zu kommen, wo man nach Belieben ein und aus gehen kann.«
»Aber warum denn? Hat sie was zu verbergen?«
»Sieht so aus. Wenn du mich fragst, handelt es sich um eine außergesetzliche Familienzusammenführung.«
»Was ist denn das?«
»Ihr Mann ist höchstwahrscheinlich illegal hier und arbeitet irgendwo in der Gegend schwarz. Und er hat über Leute, die mit solchen Geschichten Geld verdienen, seine Familie nachkommen lassen. Wenn die Frau die Sache offiziell geregelt hätte, hätte sie angeben müssen, dass sich ihr Mann illegal in Italien aufhält. Und nach dem neuen Gesetz wären sie alle wieder rausgeworfen worden. Also haben sie den kürzesten Weg gewählt.«
»Ich verstehe«, sagte der Commissario.
Er holte die
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