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Commissario Montalbano 07 - Das kalte Lächeln des Meeres

Commissario Montalbano 07 - Das kalte Lächeln des Meeres

Titel: Commissario Montalbano 07 - Das kalte Lächeln des Meeres Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Camilleri
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geringsten Änderung ihres Gesichtsausdrucks hätte er die Klangfarbe der Erzählung gewissermaßen modulieren können, aber so.   Er versuchte eine letzte Abwehr.
    »Also so was, ich hab völlig vergessen, was ich dir erzählen wollte.«
    Er biss sich auf die Lippen, jetzt hatte er Mist gebaut. Selbst auf zehntausend Kilometer Entfernung hätte Livia am Ton seiner Stimme gehört, dass er schwindelte.
    »Salvo, hör doch auf. Jetzt sag schon.«
    Montalbano erzählte zehn Minuten lang und fühlte sich die ganze Zeit wie auf einem Minenfeld. Livia unterbrach ihn nicht, gab keinen Kommentar ab.
    »- und daher ist mein Kollege Riguccio überzeugt, dass wir es mit einem Fall von gelungener Familienzusammenführung zu tun haben, wie er das nennt«, schloss er und wischte sich den Schweiß von der Stirn.
    Nicht einmal das glückliche Ende der Geschichte rief bei Livia eine Reaktion hervor. Der Commissario war besorgt.
    »Livia, bist du noch dran?«
    »Ja. Ich denke nach.«
    Ihr Tonfall war fest, die Stimme nicht brüchig.
    »Worüber denn? Da gibt's nichts nachzudenken, die kleine Geschichte hat überhaupt keine Bedeutung.«
    »Hör auf mit dem Quatsch. Ich weiß schon, warum du sie mir lieber persönlich erzählen wolltest.«
    »Aber wo denkst du hin, ich wollte -«
    »Vergiss es.«
    Montalbano sagte nichts mehr.
    »Das ist schon seltsam«, sagte Livia nach einer Weile.
    »Was?«
    »Findest du das denn normal?«
    »Aber was denn!«
    »Das Verhalten des Kindes.«
    »Findest du es seltsam?«
    »Natürlich. Warum hat es denn versucht abzuhauen?«
    »Livia, du musst dir die Situation mal vergegenwärtigen! Das Kind muss völlig panisch gewesen sein!«
    »Das glaube ich nicht.«
    »Warum nicht?«
    »Wenn ein Kind in Panik gerät und seine Mutter ist in der Nähe, dann klammert es sich mit aller Kraft an ihrem Rock fest, wie es die beiden kleineren Kinder getan haben.«
    Stimmt, dachte der Commissario bei sich.
    »Als sich der Junge ergab«, fuhr Livia fort, »ergab er sich nicht seinem Feind, der in diesem Augenblick du warst, sondern den Umständen. Ihm war völlig klar, dass es keinen Ausweg gab. Von wegen Panik!«
    »Jetzt noch mal«, sagte Montalbano. »Du vermutest also, dass der Junge die Situation ausgenutzt hat, um von seiner Mutter und seinen Geschwistern wegzukommen?«
    »Wenn es wirklich so ist, wie du erzählst, dann glaube ich das tatsächlich.«
    »Aber warum denn?«
    »Das weiß ich nicht. Eine logische Erklärung könnte sein, dass er nicht zu seinem Vater wollte.«
    »Sondern lieber auf gut Glück in ein unbekanntes Land geht, dessen Sprache er nicht spricht, ohne Geld, ohne Beistand, ohne irgendwas? Der Junge ist höchstens sechs!«
    »Salvo, du hättest Recht, wenn es sich um einen kleinen Italiener handelte, aber die Kinder dort … Die sehen aus wie sechs, sind aber von ihrer Erfahrung her fertige Männer. Mit Hunger und Krieg, mit Massakern, Tod und Angst wird man früh erwachsen.«
    Auch das stimmt, dachte Montalbano bei sich.
    Er schlug mit einer Hand die Decke zurück, stützte sich mit der anderen auf dem Bett ab, hob das linke Bein und verharrte so, wie vom Blitz getroffen.
    Mit einem Mal war ihm eiskalt. Er hatte an den Blick des Jungen denken müssen, als der seine Hand hielt und die Mutter auf ihn zulief. Da hatte er diesen Blick nicht verstanden; jetzt, nach allem, was Livia gesagt hatte, verstand er ihn. Die Augen des Kindes hatten ihn angefleht. Sie sagten: Bitte, bitte, lass mich gehen, lass mich abhauen. Und als er sich jetzt ins Bett legte, machte er sich bittere Vorwürfe, dass er nicht sofort begriffen hatte, was dieser Blick bedeutete. Sein Herz setzte beinahe aus, es fiel ihm schwer, das zuzugeben, aber so war es. Wie hatte er, um die Worte von Dottor Pasquano zu benutzen, nicht merken können, dass die Dinge nicht so lagen, wie es schien?
    »Dottori? Am Telefon wär eine Krankenschwester vom Krankenhaus Montelusa, dem San Gregorio -«
    Was war denn mit Catarella los? Er hatte den Namen des Krankenhauses richtig gesagt!
    »Was will sie denn?«
    »Mit Ihnen persönlich selber reden. Sie sagt, dass sie Agata Militello heißt. Soll ich sie durchstellen?«
    »Ja.«
    »Commissario Montalbano? Hier spricht Agata Militello -«
    O Wunder! Sie hieß wirklich so. Was war geschehen, dass Catarella zweimal hintereinander einen Namen korrekt wiedergegeben hatte?
    »- ich bin Krankenschwester im San Gregorio. Ich habe gehört, dass Sie gestern hier waren und sich nach einer Afrikanerin mit drei

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