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Commissario Montalbano 07 - Das kalte Lächeln des Meeres

Commissario Montalbano 07 - Das kalte Lächeln des Meeres

Titel: Commissario Montalbano 07 - Das kalte Lächeln des Meeres Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Camilleri
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nur umgepflügte Äcker. Etwa hundert Meter unterhalb des Weges arbeitete ein Bauer mit der Hacke. Montalbano hatte Mühe, auf der weichen Erde zu ihm zu gelangen. Der Bauer war vielleicht sechzig Jahre alt, hager und gekrümmt und sah nicht mal auf.
    »Guten Tag.«
    »Guten Tag.«
    »Ich bin Polizeikommissar.«
    »Ich weiß.«
    Woher wusste er das? Montalbano hakte lieber nicht nach. »Haben Sie die Blumen an den Kieshaufen gelegt?«
    »Ja.«
    »Haben Sie das Kind gekannt?«
    »Nein, Signuri.«
    »Warum haben Sie dann Blumen hingelegt?«
    »Es war doch ein Mensch und kein Tier.«
    »Haben Sie gesehen, wie der Unfall passiert ist?«
    »Ich hab's gesehen und nicht gesehen.«
    »Wie meinen Sie das?«
    » Vinisse ecà- kommen Sie mit.«
    Montalbano folgte ihm. Nach zehn Schritten blieb der Bauer stehen.
    »Heut Früh um sieben hab ich genau hier gearbeitet. Plötzlich hab ich was schreien gehört, ganz verzweifelt. Da hab ich einen Jungen gesehen, der ist um die Kurve gerannt. Er ist wie ein Hase gerannt und hat geschrien.«
    »Haben Sie verstanden, was er geschrien hat?«
    »Nein. Wie ich bei dem Johannisbrotbaum war, ist von der Kurve ein Auto gekommen, ganz schnell. Der Junge hat sich umgedreht, und dann wollte er von der Straße runter.
    Vielleicht wollte er zu mir. Aber dann hab ich ihn nicht mehr gesehen, weil er hinter dem Kieshaufen war. Dann ist das Auto auf das Kind zugefahren. Da hab ich nichts mehr gesehen. Ich hab was krachen gehört. Dann ist das Auto rückwärts wieder auf die Straße gefahren und hinter der nächsten Kurve verschwunden.«
    Das war unmissverständlich, aber Montalbano wollte ganz sicher gehen.
    »Kam hinter dem Auto noch ein zweites Auto?«
    »Nein. Es war allein.«
    »Und Sie meinen, dass der Fahrer absichtlich auf das Kind zugefahren ist?«
    »Ich weiß nicht, ob er das absichtlich gemacht hat, aber er ist auf das Kind zugefahren.«
    »Haben Sie das Kennzeichen gesehen?«
    »Wie denn! Schauen Sie selber, man sieht doch hier kein Nummernschild!«
    Das war wirklich unmöglich, der Höhenunterschied zwischen dem Acker und dem Weg war zu groß.
    »Und was haben Sie dann gemacht?«
    »Ich bin zu dem Kieshaufen gerannt. Und ich hab gleich gesehen, dass das Kind tot oder fast tot war. Da bin ich zu meinem Haus gerannt, das sieht man von hier nicht, und hab in Montechiaro angerufen.«
    »Haben Sie der Polizei gesagt, was Sie mir jetzt gesagt haben?«
    »Nein.«
    »Warum nicht?«
    »Weil mich keiner danach gefragt hat.«
    Eiserne Logik: keine Frage, keine Antwort.
    »Aber ich frage Sie jetzt ausdrücklich: Glauben Sie, dass es Absicht war?«
    Darüber hatte der Bauer anscheinend lange nachgedacht.
    Er antwortete mit einer Frage:
    »Kann es nicht sein, dass das Auto von selber ins Schleudern gekommen ist, weil da ein Stein war?«
    »Kann sein. Aber was denken Sie in Ihrem Inneren?«
    »Ich denk gar nichts, signuri miu. Ich will nicht mehr denken. Die Welt ist zu schlecht geworden.«
    Der letzte Satz erklärte alles. Der Bauer hatte sich ein ganz bestimmtes Bild gemacht. Das Kind war absichtlich überfahren, aus einem unerklärlichen Grund getötet worden.
    Aber der Bauer hatte dieses Bild gleich wieder auslöschen wollen. Zu schlecht war die Welt geworden. Besser nicht darüber nachdenken.
    Montalbano schrieb die Nummer des Kommissariats auf einen Zettel, den er dem Bauern gab.
    »Das ist die Telefonnummer meines Büros in Vigata.«
    »Und was mach ich damit?«
    »Nichts. Heben Sie sie auf. Wenn zufällig die Mutter oder der Vater oder irgendein Verwandter von dem Kind kommt, fragen Sie, wo sie wohnen, und das sagen Sie mir dann.«
    »Wie Sie wollen.«
    »Auf Wiedersehen.«
    »Auf Wiedersehen.«
    Der Aufstieg zur Straße war noch mühsamer als der Abstieg. Montalbano keuchte. Als er endlich am Auto war, öffnete er die Tür und setzte sich ans Steuer; doch statt den Motor anzulassen, verharrte er reglos, die Hände am Lenkrad, den Kopf auf die Hände gelegt, die Augen fest geschlossen, um die Welt auszusperren, zu verleugnen. Wie der Bauer, der wieder die Erde hackte und weiterhacken würde, bis es dunkel wurde. Da durchzuckte ihn ein Gedanke, eine eisige Klinge, die seinen Kopf spaltete, hinabfuhr und mit verheerender Wucht mitten in der Brust stecken blieb: Der tüchtige, brillante Commissario Salvo Montalbano hatte diesen kleinen Jungen bei der Hand genommen und als williger Helfer seinem Mörder ausgeliefert.

Acht
    Es war noch zu früh, um sich in Marinella zu verkriechen, aber er wollte

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