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Commissario Montalbano 07 - Das kalte Lächeln des Meeres

Commissario Montalbano 07 - Das kalte Lächeln des Meeres

Titel: Commissario Montalbano 07 - Das kalte Lächeln des Meeres Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Camilleri
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nicht mehr ins Büro, sondern gleich nach Hause. Montalbano schäumte vor Wut und fühlte sich fiebrig. Diese Wut musste er allein austoben, er durfte sie nicht beim geringsten Anlass an seinen Leuten abreagieren. Das erste Opfer war eine Blumenvase, die ihm jemand geschenkt hatte und die er auf den Tod nicht ausstehen konnte. Er hob sie hoch und ließ sie mit Genugtuung und deftig fluchend auf den Boden krachen. Nach dem Knall musste Montalbano verwundert feststellen, dass die Vase nicht mal einen Kratzer bekommen hatte.
    War das möglich? Er bückte sich, hob sie auf und schmiss sie mit aller Kraft noch mal auf den Boden. Ohne Erfolg.
    Und nicht nur das: Eine Fliese brach. Sollte er sein Haus ruinieren, nur um diese verfluchte Vase kaputtzukriegen? Er ging zum Auto, klappte das Handschuhfach auf, holte seine Pistole heraus, kehrte ins Haus zurück, nahm die Vase mit auf die Veranda, lief über den Strand ans Wasser, stellte die Vase in den Sand, trat zehn Schritte zurück, zückte die Waffe, zielte, schoss und traf nicht.
    »Mörder!«
    Es war eine Frauenstimme. Er blickte suchend umher. In der Ferne fuchtelten zwei Gestalten auf dem Balkon eines Hauses in seine Richtung.
    »Mörder!«
    Jetzt war es eine Männerstimme. Wer zum Teufel konnte das sein? Da fiel es ihm ein: Das Ehepaar Bausan aus Treviso! Das für seinen blamablen Nacktauftritt im Fernsehen gesorgt hatte. Er schickte die beiden im Geiste zum Teufel, zielte noch mal sorgfältig und schoss. Diesmal explodierte die Vase. Begleitet von einem immer ferneren Chor von »Mörder! Mörder!«, kehrte er befriedigt ins Haus zurück.
    Er kleidete sich aus, stellte sich unter die Dusche, rasierte sich, zog sich um, als ob er aus dem Haus gehen und Leute treffen wollte. Dabei musste er nur sich selbst begegnen, doch da wollte er anständig auftreten. Er setzte sich auf die Veranda und dachte nach. Ganz sicher hatte er, wenn auch nicht mit Worten oder Gedanken, diesen großen Augen, die ihn aus der Kühlzelle ansahen, ein feierliches Versprechen gegeben. Er musste an einen Roman von Dürrenmatt denken, in dem ein Kommissar sein ganzes Leben damit zubringt, ein Versprechen einzulösen: Er hat den Eltern eines kleinen getöteten Mädchens versprochen, den Mörder zu finden … Einen Mörder, der inzwischen tot ist, aber das weiß der Kommissar nicht. Die Jagd nach einem Gespenst. Nur dass im Fall des kleinen Jungen auch das Opfer ein Gespenst war, er wusste nicht, woher das Kind kam, wie es hieß, nichts. Den Namen des Opfers in dem anderen Fall, mit dem er derzeit befasst war, wusste er übrigens auch nicht: ein etwa vierzigjähriger Unbekannter, der ertränkt worden war. Außerdem handelte es sich gar nicht um richtige Ermittlungen, es war keine Akte angelegt worden: Für den Unbekannten galt, um es bürokratisch auszudrücken, Tod durch Ertrinken; der kleine Junge war das x-te Opfer eines Unfallflüchtigen. Was gab es da offiziell zu ermitteln? Nichts, aber auch gar nichts. Nada de nada.
    Um solche Fälle, überlegte der Commissario, könnte ich mich kümmern, wenn ich in Pension gehe. Wenn ich mich jetzt damit beschäftige, heißt das vielleicht, dass ich mich schon pensioniert fühle?
    Eine tiefe Melancholie beschlich ihn. Der Commissario hatte zwei probate Mittel, mit solchen Zuständen fertig zu werden: Das erste bestand darin, ins Bett zu schlüpfen und sich die Decke über den Kopf zu ziehen; das zweite in einem Gelage. Er sah auf die Uhr, zum Schlafengehen war es zu früh, wenn er einschlief, würde er wahrscheinlich morgens um drei aufwachen und dann ziellos durchs Haus wandern und sich erst recht verrückt machen! So blieb nur das Gelage, zumal ihm einfiel, dass er mittags gar nicht zum Essen gekommen war. Er ging in die Küche und sah in den Kühlschrank. Aus unerfindlichen Gründen hatte Adelina involtini di carne gemacht. Das war nichts. Er setzte sich ins Auto und fuhr zur Trattoria Da Enzo. Beim ersten Gang, Spaghetti al nìvuro di sieda, setzte die Melancholie zum Rückzug an. Am Ende des zweiten Ganges, knusprig gebratenen calamaretti, war sie Hals über Kopf geflohen und am Horizont verschwunden. Als Montalbano nach Marinella zurückkehrte, war das Räderwerk seines Gehirns geölt und lief wieder wie geschmiert. Er setzte sich auf die Veranda.
    Zunächst mal musste er Livia Recht geben, der Junge hatte sich bei der Landung wirklich sehr seltsam benommen.
    Offensichtlich wollte er das allgemeine Durcheinander ausnutzen und verschwinden. Das war ihm

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