Commissario Montalbano 07 - Das kalte Lächeln des Meeres
das halbe Steak nicht?‹, fragt mein Freund. Und der andere: ›Weil manche Leute ihnen vergiftetes Essen bringen, als ob sie streunende Hunde wären.‹ Verstehst du?«
»Nein.«
»Es könnte sein, dass der Junge zufällig die Straße entlanggelaufen und von so einem beschissenen Rowdy absichtlich überfahren worden ist, aus purem Vergnügen oder in einem Anfall von Rassismus. Von irgendjemand, der mit der Ankunft des Jungen hier überhaupt nichts zu tun hat.«
Montalbano stieß einen tiefen Seufzer aus.
»Schön wär's! Dann hätte ich weniger Schuldgefühle. Aber leider bin ich der Auffassung, dass die ganze Geschichte in sich logisch ist.«
Agata Militello war eine aufgetakelte Vierzigjährige mit ansprechender, aber zur Fülle neigender Figur. Sie redete wie ein Wasserfall und bestritt die Unterhaltung während der einen Stunde, die sie mit dem Commissario verbrachte, praktisch allein. Sie war sauer, weil ihr Sohn, ein Student ( »Wissen Sie, Commissario, ich hab mich dummerweise mit siebzehn in so einen lumpigen Mistkerl verliebt, und als ich schwanger war, ist er auf und davon« ), sich verloben wollte ( »Aber ich sage, könnt ihr denn nicht warten? Wieso habt ihr's so eilig mit dem Heiraten? Ihr könnt doch erst mal ein lockeres Leben führen und dann sehen, wie's weitergeht« ). Sie sagte auch, diese Scheißbande im Krankenhaus nutze sie aus, weil sie so gutmütig und jederzeit bereit sei, Überstunden zu machen.
»Da«, sagte sie plötzlich und blieb stehen.
Sie befanden sich an einer kurzen Straße ohne Haustüren oder Läden entlang der Rückseite zweier großer Gebäude.
»Aber hier gibt's ja gar keinen Eingang!«, sagte Montalbano.
»So ist es. Wir sind hinter dem Krankenhaus, das ist dieses Gebäude rechts. Ich gehe immer hier entlang in die Notaufnahme, das ist um die Ecke die erste Tür rechts.«
»Die Frau mit den drei Kindern ist also von der Notaufnahme aus links um die Ecke in diese Straße hier eingebogen, und dann ist das Auto gekommen.«
»Ganz genau.«
»Haben Sie gesehen, ob das Auto von der Notaufnahme oder von der anderen Seite kam?«
»Nein, hab ich nicht.«
»Haben Sie gesehen, wie viele Personen drinsaßen?«
»Bevor die Frau mit den Kindern eingestiegen ist?«
»Ja.«
»Nur der Fahrer.«
»Ist Ihnen irgendwas Besonderes an ihm aufgefallen?«
»Commissario mio, wie denn? Der ist doch im Auto sitzen geblieben! Schwarz war er aber bestimmt nicht.«
»Ach nein? Hat er ausgesehen wie wir?«
»Ja, Commissario. Aber können Sie einen Tunesier von einem Sizilianer unterscheiden? Ich hab mal erlebt, da -«
»Wie viele Ambulanzwagen hat das Krankenhaus insgesamt?«, fiel ihr der Commissario ins Wort.
»Vier, aber die reichen nicht mehr. Und es ist kein Geld da, um wenigstens einen dazuzukaufen.«
»Wie viele Leute sitzen in einem Wagen, wenn er unterwegs ist?«
»Zwei. Das Personal ist knapp. Ein Sanitäter und einer am Steuer, der auch hilft.«
»Kennen Sie die?«
»Klar, Commissario.«
Er wollte sie nach dem hageren Sanitäter mit dem Oberlippenbart fragen, tat es aber doch nicht, die Frau redete zu viel. Womöglich rannte sie gleich zu dem Mann und erzählte ihm brühwarm, dass sich der Commissario nach ihm erkundigt hatte.
»Gehen wir einen Espresso trinken?«
»Gern, Commissario. Aber ich darf nicht zu viel Kaffee trinken. Denken Sie nur, ich hab mal vier Tassen hintereinander getrunken, und da …«
Im Kommissariat erwartete ihn Fazio, der endlich seine Nachforschungen über die Wasserleiche wieder aufnehmen wollte. Fazio war wie ein Hund, der, wenn er einmal Witterung aufgenommen hatte, nicht mehr lockerließ, bis er das Wild aufgestöbert hatte.
»Dottore, der Sanitäter heißt Gaetano Marzilla.«
Dann schwieg er.
»Ja und? Ist das alles?«, fragte Montalbano überrascht. »Dottore, können wir was ausmachen?«
»Was denn?«
»Ich darf meinen Personalienfimmel, wie Sie das nennen, ein bisschen ausleben, und danach sag ich Ihnen, was ich über ihn weiß.«
»Abgemacht«, sagte der Commissario schicksalsergeben.
Fazio bekam glänzende Augen vor Freude. Er fischte einen Zettel aus der Tasche und fing an zu lesen.
»Marzilla Gaetano, geboren in Montelusa am 6. Oktober 1960, Sohn des verstorbenen Marzilla Stefano und von Diblasi Antonia, wohnhaft in Montelusa, Via Francesco Crispi 18. Verheiratet mit Cappuccino Elisabetta, geboren in Ribera am 14. Februar 1963, Tochter des verstorbenen Cappuccino Emanuele und von Ricottilli Eugenia, die -«
»Schluss
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