Commissario Montalbano 07 - Das kalte Lächeln des Meeres
Signor Commissario«, sagte Ingrid unversehens.
Montalbano erhob sich und ging an den Hängeschrank.
Da stand eine ganze Flasche, Adelina hatte zum Glück für Nachschub gesorgt. Er holte zwei Gläser aus der Küche, kehrte zurück, setzte sich, füllte die Gläser zur Hälfte.
Beide tranken den Whisky pur. Ingrid hob ihr Glas und sah den Commissario fest an.
»Er ist tot, nicht wahr?«
»Ja.«
»Umgebracht. Sonst würdest du dich nicht mit ihm beschäftigen.«
Montalbano nickte.
»Wann?«
»Ich glaube, als du nicht kamst, hat er dich nicht angerufen, weil er nicht mehr anrufen konnte.«
»War er da schon tot?«
»Ich weiß nicht, ob er sofort umgebracht oder längere Zeit gefangen gehalten wurde.«
»Und wie -«
»Er wurde ertränkt.«
»Wie hast du das rausbekommen?«
»Dafür hat er selbst gesorgt.«
»Ich verstehe nicht.«
»Du hast doch gesagt, du hättest mich nackt im Fernsehen gesehen.«
»Ja.«
»Der Tote, den ich da gefunden habe, war er.«
Erst jetzt führte Ingrid das Glas an die Lippen, und sie setzte es erst ab, als sie es bis auf den letzten Tropfen Whisky geleert hatte. Dann stand sie auf und trat auf die Veranda. Montalbano trank den ersten Schluck und steckte sich eine Zigarette an. Ingrid kam wieder herein und ging ins Bad. Als sie zurückkam, hatte sie ihr Gesicht gewaschen; sie nahm wieder Platz und schenkte sich nach.
»Gibt's sonst noch Fragen?«
»Ein paar schon. Hast du was in der Villa in Spigonella?«
»Was meinst du?«
»Hast du Sachen dagelassen?«
»Was hätte ich denn dalassen sollen?«
»Was weiß denn ich? Wäsche zum Wechseln -«
»Slips?«
»Na ja -«
»Nein, da ist nichts von mir. Ich sagte ja, dass ich nie Lust hatte, eine ganze Nacht bei ihm zu verbringen. Warum fragst du?«
»Weil wir die Villa früher oder später durchsuchen müssen.«
»Keine Sorge. Sonst noch Fragen? Ich bin ein bisschen müde.«
Montalbano nahm die Fotos aus dem Umschlag und reichte sie Ingrid.
»Welches sieht ihm am ähnlichsten?«
»Sind das nicht alles Fotos von ihm?«
»Es sind Computerrekonstruktionen. Das Gesicht des Leichnams war übel zugerichtet und unkenntlich.«
Ingrid sah sich die Bilder an. Dann entschied sie sich für das mit dem Schnauzer.
»Das. Aber -«
»Aber?«
»Zwei Sachen stimmen nicht. Der Schnurrbart war viel länger, er hatte eine andere Form, so eine Art Tatarenschnauzer -«
»Und was noch?«
»Die Nase. Die Nasenlöcher waren größer.«
Montalbano holte den Strafregisterauszug aus dem Umschlag.
»Wie auf dem hier?«
»Genau so hat er ausgesehen«, sagte Ingrid, »auch ohne Schnauzer.«
Es gab keinen Zweifel mehr: Lococo und Errera waren dieselbe Person. Catarellas irrwitzige Theorie hatte sich als konkrete Wahrheit entpuppt.
Montalbano erhob sich, reichte Ingrid die Hand und zog sie hoch. Als sie aufrecht stand, umarmte er sie.
»Danke.«
Ingrid sah ihn an.
»Ist das alles?«
»Lass uns Gläser und Flasche mit raus auf die Veranda nehmen«, sagte der Commissario. »Jetzt kommt der gemütliche Teil des Abends.«
Sie setzten sich ganz nah nebeneinander auf die Bank.
Jetzt duftete die Nacht nach Salz, Bergminze, Whisky und sogar Aprikosen, denn nach Letzteren duftete Ingrids Haut. Eine solche Mischung hätte nicht mal ein erstklassiger Parfümeur erfinden können. Sie sprachen nicht, sie waren zufrieden, so beieinander zu sitzen. Das dritte Glas ließ Ingrid halb voll stehen.
»Darf ich mich ein bisschen auf dein Bett legen?«, murmelte sie plötzlich.
»Willst du nicht nach Hause?«
»Ich mag nicht mehr fahren.«
»Ich bringe dich mit meinem Auto. Und morgen -«
»Ich mag nicht nach Hause. Aber wenn du gar nicht willst, dass ich hier bleibe, leg ich mich nur ein paar Minuten hin.
Dann gehe ich. Einverstanden?«
»Einverstanden.«
Ingrid stand auf, küsste ihn auf die Stirn und ging ins Haus.
Ich mag nicht nach Hause- hatte sie gesagt. Was bedeutete für Ingrid das Zuhause, wo sie mit ihrem Mann lebte? Vielleicht ein noch fremderes Bett als das, in das sie sich gerade legte? Und wenn sie ein Kind gehabt hätte, wäre ihr das Haus dann nicht anders erschienen, wärmer, einladender? Arme Ingrid. Wie viel Melancholie, wie viel Einsamkeit vermochte sie hinter ihrer scheinbar oberflächlichen Lebensfreude zu verbergen? Montalbano empfand mit einem Mal ein neues Gefühl für Ingrid, ein Gefühl verzehrender Zärtlichkeit. Er trank noch ein paar Schluck Whisky und ging dann, weil ihn leicht fröstelte, mit der Flasche und den
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