Commissario Montalbano 08 - Die Passion des stillen Rächers
doch dann kamen ihm Zweifel, und er verstummte.
Sieben
»Los, sag schon!«, ermunterte Montalbano ihn.
»Ich hatte da so eine Idee. Aber es ist mir peinlich, darüber zu reden.«
»Ich verspreche dir, welchen Mist du auch von dir gibst, er bleibt innerhalb dieser vier Wände.«
»Eine Idee wie aus einem amerikanischen Film. In der Stadt heißt es, den Mistrettas sei es bis vor fünf, sechs Jahren ganz gut gegangen. Doch dann mussten sie alles verkaufen. Könnte es nicht sein, dass die Entführung von jemandem geplant wurde, der nach langer Abwesenheit nach Vigàta zurückgekehrt ist und über die Lage der Familie nicht Bescheid weiß?«
»Für mich hört sich das mehr nach Totò und Peppino als nach amerikanischem Film an. Überleg doch mal! So eine Entführung bringt man doch nicht allein über die Bühne, Nicolò! Von irgendeinem Komplizen hätte der Mann, der nach so langer Zeit zurückkommt, schon erfahren, dass die Mistrettas praktisch am Hungertuch nagen. Wie kam es eigentlich, dass sie alles verloren haben?«
»Keine Ahnung. Soweit ich weiß, waren sie gezwungen, alles ganz schnell zu verkaufen …«
»Was mussten sie verkaufen?«
»Grundstücke, Häuser, Lagerräume …«
»Gezwungen, sagst du? Merkwürdig!«
»Wieso merkwürdig?«
»Als ob sie vor sechs Jahren schon mal dringend Geld gebraucht hätten, um, was weiß ich, zum Beispiel Lösegeld zu zahlen.«
»Aber vor sechs Jahren wurde niemand entführt.«
»Es wurde niemand entführt oder es hat niemand erfahren.«
Trotz der schnellen Reaktion des Staatsanwalts konnte »Televigàta« die Sondersendung noch einmal bringen, bevor die einstweilige Verfügung erlassen war. Und diesmal saß nicht nur Vigàta, sondern die ganze Provinz Montelusa vor dem Fernseher und hörte und sah fasziniert zu: Die Nachricht hatte blitzschnell die Runde gemacht. Wenn es in der Absicht der Täter lag, die Geschichte aller Welt bekannt zu machen, dann war ihnen das voll und ganz gelungen.
Eine Stunde später erschien statt der dritten Wiederholung der Sondersendung Pippo Ragonese auf dem Bildschirm. Die Augen traten ihm schier aus den Höhlen. Er empfinde es als seine Pflicht, sagte er wutentbrannt, die Öffentlichkeit darüber zu informieren, dass der Sender in diesen Stunden einer »unerhörten Schikane in Gestalt eines gewalttätigen Übergriffs, eines Einschüchterungsversuchs, einer Verfolgung« ausgesetzt sei. Er erklärte, das Band mit dem aufgezeichneten Anruf der Kidnapper sei auf richterliche Anweisung hin beschlagnahmt worden. Polizeikräfte hätten sich an eine Durchsuchung der Redaktionsräume gemacht, um wer weiß was zu finden. Er schloss damit, dass es niemals gelingen werde, die durch ihn und »Televigàta« verkörperte Stimme der freien Information zu ersticken, und kündigte an, er werde seine Zuschauer über die Entwicklung der »schlimmen Lage« auf dem Laufenden halten.
Amüsiert verfolgte Montalbano in Nicolòs Büro die Geschichte, die er auf den Weg gebracht hatte. Dann fuhr er ins Kommissariat. Kaum war er da, rief Livia an.
»Salvo?«
»Livia! Was gibt’s?«
Wenn Livia im Büro anrief, musste etwas Ernstes geschehen sein.
»Marta hat angerufen.«
Marta Gianturco war die Frau eines Offiziers im Hafenamt, eine der wenigen Freundinnen, die Livia in Vigàta hatte.
»Ja und?«
»Sie hat gesagt, ich soll sofort den Fernseher einschalten und mir die Sondersendung bei ›Televigàta‹ ansehen. Das habe ich getan.«
Pause.
»Es war schrecklich … die Stimme des armen Mädchens … einfach herzzerreißend …«, fuhr sie nach einer Weile fort.
Was sollte er da sagen?
»Ja, mhm … stimmt …«, meinte Montalbano, damit sie bloß nicht glaubte, er höre nicht zu.
»Dann hat Ragonese gesagt, dass ihr die Redaktion durchsucht …«
»Na ja, eigentlich …«
»Wie weit seid ihr?«
Das Wasser steht uns bis zum Hals, hätte er am liebsten geantwortet. Doch er sagte:
»Wir sind dran.«
»Verdächtigt ihr etwa Ragonese, das Mädchen entführt zu haben?«, fragte Livia ironisch.
»Livia, dein Spott hilft uns auch nicht weiter. Ich sagte, wir sind dran.«
»Das will ich hoffen«, sagte Livia, und ihre Stimme klang so unheilschwanger, dass sie zu einer schwarzen, regenschweren, tief hängenden Wolke gepasst hätte.
Sie legte auf.
Aha, jetzt fing Livia also mit kränkenden Drohanrufen an. War es übertrieben, so etwas einen Drohanruf zu nennen? Nein, war es nicht. Eigentlich war so etwas strafbar.
Komm, jetzt stell dich nicht so an
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