Commissario Montalbano 09 - Die dunkle Wahrheit des Mondes
an, auch wenn es mitten in der Nacht ist, da brauchst du kein schlechtes Gewissen zu haben.«
Sechs
Er setzte sich ins Auto, fuhr los, schlug sich nach knapp hundert Metern an die Stirn, stieß Verwünschungen aus, begann ein gefährliches Wendemanöver, während dem drei Autofahrer hinter ihm laut und deutlich klarmachten, dass:
erstens er ein gehörntes Rindvieh,
zweitens seine Mutter ein Flittchen,
drittens seine Schwester noch schlimmer als die Mutter war.
Zurück im Kommissariat ging er bei Catarella vorbei, ohne dass der ihn bemerkte, so versunken saß er vor dem Computer. Praktisch hätte ein ganzes Regiment von Verbrechern in die Büros marschieren können, ganz ohne Blutvergießen. In seinem Zimmer öffnete er das Säckchen, das Fazio ihm mitgebracht hatte, und nahm den Schlüsselbund heraus, der Angelo gehört hatte. Sofort fiel ihm ein Schlüssel auf, der genauso war wie der, den er in der Tasche hatte, und dazu diente, eine Sicherheitskassette zu öffnen. Im Allgemeinen waren diese Kassetten mit nur zwei Schlüsseln ausgestattet. Daher war der Schlüssel, den sie unter der Schublade gefunden hatten, der Ersatzschlüssel, den Angelo versteckt hielt.
Folglich hatte er einen falschen Eindruck von Michela gehabt. Sie war es nicht, die die Sicherheitskassette hatte verschwinden lassen, sie hätte gar keine Möglichkeit gehabt, sie zu öffnen.
Vielleicht war die Sicherheitskassette ja auch gar nicht aus Angelos Wohnung verschwunden, weil sie überhaupt nie dort gewesen war, weil er sie anderswo aufbewahrte. Wo anderswo?
Und hier schlug er sich noch einmal an die Stirn. Er führte die Ermittlung wie ein Volltrottel und wie einer, der die einfachsten Grundsätze vergaß. Angelo war doch Vertreter und fuhr durch die gesamte Provinz, oder etwa nicht? Wieso war er nicht schon eher darauf gekommen, dass Angelo dafür notwendigerweise ein Auto haben musste? Und vielleicht hatte er ja auch eine Garage. Er leerte das Säckchen auf dem Schreibtisch aus. Das Handy. Die Geldbörse. Und die Zündschlüssel für ein Auto. Womit bewiesen war: Er, Montalbano, war völlig vertrottelt.
Er stopfte alles wieder in das Säckchen und nahm es mit. Auch diesmal bemerkte Catarella ihn nicht.
Michela trug eine Art weiten, unförmigen Morgenmantel, den ein großer, lockerer Knoten in so etwas wie einen Gefängniskittel verwandelte, und ein Paar Schlappen. Sie schlug ihre Augen gefährlich nieder. Welche Sünden oder vielmehr welche bösen Absichten steckten nur in ihrem Körper, dass sie ihn züchtigen musste, indem sie ihn auf diese Art versteckte?
Sie führte ihn ins Wohnzimmer. Möbel von hervorragender Qualität, allerdings alt, ganz sicher Familienerbstücke. »Entschuldigen Sie, dass ich Sie in diesem Aufzug empfange, aber weil ich mich doch immer um Mama kümmern muss…«
»Aber ich bitte Sie! Wie geht es ihr?«
»Zum Glück ruht sie gerade. Das ist die Wirkung der Beruhigungsmittel. Der Arzt will es so. Aber sie schläft unruhig, als ob sie Albträume hätte, sie klagt.«
»Tut mir leid«, sagte Montalbano, der in diesen Fällen nicht wusste, was er sagen sollte, und dann allgemein wurde. Sie war es, die anfing zu fragen. Ohne Umschweife. »Haben Sie in Angelos Wohnung etwas gefunden?«
»Etwas in welchem Sinn?«
»Etwas, das Ihnen weiterhilft zu verstehen, wer ihn…«
»Nein, noch nichts.«
»Sie haben mir ein Versprechen gegeben.«
Montalbano verstand auf Anhieb. »Ich habe mit Montelusa gesprochen. Es dauert mindestens noch drei Tage, bevor die Genehmigung zur Freigabe der Leiche erteilt wird. Machen Sie sich keine Sorgen: Ich halte Sie auf dem Laufenden.«
»Danke.«
»Sie haben mich eben gefragt, ob wir etwas in der Wohnung Ihres Bruders gefunden hätten, und ich habe Ihnen geantwortet, wir hätten nichts gefunden. Aber wir haben nicht einmal das gefunden, was dort hätte sein müssen.«
Er hatte Angelschnur und Haken ausgeworfen. Aber die da biss nicht an. Sie war lediglich ein bisschen erstaunt, was angemessen war.
»Was zum Beispiel?«, fragte sie.
»Ihr Bruder hat ziemlich viel verdient?«
»Ziemlich. Aber dass wir uns da nicht missverstehen, Commissario. Vielleicht sollte man besser sagen: genug, um seine und unsere Bedürfnisse zu befriedigen.«
»Wo hat er das Geld aufbewahrt?«
Michela sah ihn an, glücklicherweise nur einen Augenblick lang, überrascht über diese Frage. »In der Bank.«
»Und wie erklären Sie sich dann, dass wir kein Scheckbuch gefunden haben, keinen Kontoauszug, gar
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