Commissario Montalbano 09 - Die dunkle Wahrheit des Mondes
zusammengehalten wurde, fiel ihr offen über die Schultern. Ihre blauen Augen lachten, ihre roten Lippen, die wie gemalt aussahen, hatten das Schmollende verloren.
»Ich bin noch nie zum Essen hier gewesen. Ich komme aus dem Fitnessstudio, und das Fitnessstudio macht mir Appetit.«
Ein junges wildes Tier, und ein gefährliches. Wie alle wilden Tiere.
Und im Grunde wie alle jungen Leute, dachte der Commissario mit einem Anflug von Wehmut. Enzo ließ sie an einem etwas abseitsstehenden Tisch Platz nehmen, im Übrigen war noch kaum jemand da. »Was wollen Sie essen?«
»Gibt es keine Karte?«, fragte Elena. »Nein, gibt es nicht«, sagte Enzo und sah sie böse an. »Mögen Sie Antipasti di mare? Die sind hervorragend hier«, sagte Montalbano.
»Ich esse alles«, erklärte Elena.
Der Blick, mit dem Enzo sie angesehen hatte, änderte sich schlagartig, er wurde nicht nur nachsichtig, sondern fast schon liebevoll.
»Dann lassen Sie mich nur machen.«
»Es gibt da ein Problem«, sagte Montalbano, der vorbauen wollte.
»Welches?«
»Sie haben mir vorgeschlagen, gemeinsam zu Mittag zu essen, und ich war mehr als erfreut, dem zu entsprechen. Nur…«
»Nur Mut, heraus mit der Sprache. Ihre Frau…«
»Ich bin nicht verheiratet.«
»Schlimme Dinge?«
»Ja. Eins.«
Wieso antwortete er ihr?
»Das Problem ist, dass ich während des Essens überhaupt nicht reden mag.« Sie lächelte.
»Sie sind es, der die Fragen stellen muss. Wenn Sie mir keine stellen, brauche ich nicht zu antworten. Und außerdem, wenn Sie es denn unbedingt wissen wollen, wenn ich etwas tue, dann tue ich nur diese eine Sache.« Das Ende vom Lied war, dass sie die Antipasti hinunterschlangen, die Spaghetti mit Venusmuscheln, die kross gebratenen Meerbarben, wobei sie unartikulierte Laute von sich gaben wie ahm, ehm, ohm, uhm, die sich lediglich in ihrer Intensität und Färbung veränderten. Und zusammen ohm ohm machten und sich dabei ansahen. Am Ende dehnte Elena die Beine unter dem Tisch aus, schloss die Augen halb und stieß einen tiefen Seufzer aus. Dann streckte sie wie eine Katze die Zungenspitze heraus und ließ sie über die Lippen gleiten. Es fehlte nur wenig, und sie hätte geschnurrt.
Einmal hatte der Commissario die Erzählung eines italienischen Schriftstellers gelesen, die Erzählung von einem Land, wo der Beischlaf in aller Öffentlichkeit nicht nur keinen Skandal hervorrief, sondern als das Allernatürlichste von der Welt betrachtet wurde, wohingegen das Essen in Gegenwart anderer als das Gegenteil von Moral galt, weil es etwas äußerst Intimes war. Fast musste er lachen, weil ihm eine Frage durch den Kopf ging: Was, wenn das Alter ihn innerhalb kurzer Zeit dazu bringen würde, eine Frau allein dadurch zu erleben und zu genießen, dass sie am selben Tisch aßen?
»Und wo reden wir jetzt miteinander?«, fragte Montalbano.
»Haben Sie zu tun?«
»Nicht gleich.«
»Dann mache ich Ihnen noch einen Vorschlag. Fahren wir zu mir, ich lade Sie zu einem Espresso ein. Emilio ist in Montelusa, ich glaube, das habe ich Ihnen schon gesagt. Haben Sie Ihr Auto hier?«
»Ja.«
»Sie kommen am besten mit Ihrem Wagen hinterher, dann können Sie nachher gehen, wann immer Sie wollen.« Dem Torpedo zu folgen war nicht leicht. Montalbano entschloss sich irgendwann, es sein zu lassen, schließlich kannte er den Weg ja. Tatsächlich erwartete Elena ihn, als er ankam, bereits an der Haustür, mit einer Sporttasche über der Schulter.
»Sie haben wirklich ein tolles Auto«, sagte Montalbano, während sie im Aufzug hochfuhren.
»Angelo hat's mir geschenkt«, sagte die junge Frau beinahe gleichgültig, als sie die Wohnungstür öffnete, so, als würde sie über ein Päckchen Zigaretten oder irgendetwas Unwichtiges sprechen.
Die schneidet mir ja das Gras unter den Füßen weg!, dachte Montalbano und wurde wütend, weil er sowohl an einen Gemeinplatz gedacht hatte als auch daran, dass dieser Gemeinplatz völlig der Wahrheit entsprach. »Das muss ihn viel Geld gekostet haben.«
»Ich glaube schon. Ich werde es so schnell wie möglich verkaufen müssen.« Sie führte ihn ins Wohnzimmer. »Wieso?«
»Es kostet zu viel für meinen Geldbeutel. Es verbraucht fast so viel wie ein Flugzeug. Wissen Sie, als Angelo es mir geschenkt hat, habe ich, als Gegenleistung dafür, dass ich es annehme, eine Bedingung gestellt: dass er mir jeden Monat das Geld fürs Benzin und für die Garage zurückzahlt. Die Versicherung hatte er schon bezahlt.«
»Und das hat er
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