Commissario Montalbano 10 - Die schwarze Seele des Sommers
den Maklerbüros in Vigàta hatte man ihn ausgelacht. »Und Sie erwarten, dass Sie heute, am 16. Juli, noch für Anfang August eine Villetta am Meer finden? Die sind doch alle längst vermietet!«
Man sagte ihm, er solle seine Telefonnummer dalassen: Falls zufällig irgendjemand im letzten Augenblick absage, würde man ihn benachrichtigen. Und das Wunder geschah genau zu dem Zeitpunkt, als er schon alle Hoffnung aufgegeben hatte.
»Hallo, Dottor Montalbano? Hier ist das Maklerbüro Aurora. Gerade ist eine Villetta, wie Sie sie suchen, frei geworden. Sie befindet sich in Marina di Montereale, Ortsteil Pizzo. Aber Sie müssten umgehend vorbeikommen, wir schließen nämlich gleich.«
Er hatte ein Verhör mittendrin abgebrochen und war davongestürzt. Auf den Fotos wirkte die Villetta genau so, wie Livia sie sich vorstellte. Mit Signor Callara, dem Inhaber des Maklerbüros, war er so verblieben, dass dieser am nächsten Morgen gegen neun bei ihm vorbeikommen und ihn abholen würde, damit er die Villetta besichtigen konnte, die in der Gegend von Montereale stand, keine zehn Kilometer von Marinella entfernt. Montalbano dachte daran, dass zehn Kilometer Straße nach Montereale im Hochsommer sowohl fünf Minuten Autofahrt wie auch zwei Stunden bedeuten konnten, je nach Verkehr. Na, dann war's eben so, Livia und Laura mussten sich mit dem zufriedengeben, was noch verfügbar war, friss, Vogel, oder stirb.
Kaum im Auto, fing Signor Callara an zu reden und hörte gar nicht mehr auf. Er begann bei der jüngsten Geschichte des Hauses, erzählte, wie und warum die Villetta an einen gewissen Jacolino vermietet worden war, einen Angestellten aus Cremona, der die reguläre Kaution bezahlt hatte. Doch genau am Abend zuvor hatte dieser Jacolino im Büro angerufen und gesagt, dass die Mutter seiner Frau einen Unfall hatte, weshalb sie nicht mehr von Cremona wegkonnten. Und daher habe man vom Maklerbüro aus ihn, Montalbano, angerufen.
Danach ging Signor Callara zur Vergangenheitsaufarbeitung über und erzählte in allen Einzelheiten, wie und warum die Villetta erbaut worden war. Ungefähr vor sechs Jahren hatte ein aus Montereale stammender Siebzigjähriger namens Angelo Speciale, der aber sein ganzes Leben in Deutschland gearbeitet hatte, sich entschlossen, diese Villetta für sich bauen zu lassen, um dort nach der Rückkehr in seinen Geburtsort mit seiner Frau den Lebensabend zu verbringen. Diese deutsche Frau, die Gudrun hieß, war vorher Witwe und hatte einen Sohn namens Ralf. Klar? Klar. Angelo Speciale, der in Begleitung seines Stiefsohns Ralf nach Montereale gekommen war, hatte einen ganzen Monat lang nach dem richtigen Bauplatz gesucht, ihn dann gefunden, ihn gekauft, sich vom Landvermesser Spitaleri den Bauplan ausarbeiten lassen und über ein Jahr darauf gewartet, dass der Bau fertig wurde. Ralf war immer bei ihm gewesen.
Anschließend waren sie nach Deutschland zurückgekehrt, um die Möbel und alles Übrige nach Montereale zu verfrachten. Doch dann hatte sich etwas Eigentümliches ereignet. Weil Angelo Speciale nicht gerne flog, reisten sie mit dem Zug. Als der in den Kölner Bahnhof einfuhr, suchte Signor Speciale jedoch vergeblich nach seinem Stiefsohn, der im Bett über ihm mitgereist war. Im Abteil befand sich zwar Ralfs Koffer, doch von ihm selbst keine Spur. Der Schlafwagenschaffner sagte, er habe ihn an den vorherigen Bahnhöfen nicht aussteigen sehen. Kurz gesagt: Ralf war verschwunden. »Hat man ihn dann wiedergefunden?«
»Ach, woher denn, Dottore mio! Von dem jungen Mann hat man seitdem nie wieder etwas gehört.«
»Aber Signor Speciale ist dann doch dort eingezogen?«
»Nein, das ist ja das Verrückte! Dazu kam es gar nicht! Kaum einen Monat nach seiner Rückkehr nach Köln ist der arme Signor Speciale die Treppe runtergefallen, verletzte sich am Kopf und starb, der Unglückselige.«
»Und Signora Gudrun, die nun zweifache Witwe, hat die dann hier gewohnt?«
»Was sollte sie denn hier, die Arme, ohne Mann und ohne Sohn? Sie rief uns vor drei Jahren an und sagte uns, wir sollten die Villetta für sie vermieten. Und seit drei Jahren vermieten wir sie, allerdings nur im Sommer.«
»Und das restliche Jahr über nicht?«
»Zu abgeschieden, Dottore. Sie werden es ja selbst sehen.«
Es war wirklich abgeschieden. Man gelangte dorthin, indem man von der Provinzialstraße auf einen ansteigenden Weg abbog, an dem nur ein rustikales Häuschen, ein weiteres, noch rustikaleres Häuschen und am Ende schließlich
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