Commissario Montalbano 10 - Die schwarze Seele des Sommers
Griff und er verspürte keinen Schlag mehr?
Und was, wenn es gar kein elektrischer Schlag war, sondern etwas in ihm, ein Kurzschluss in seinem Kopf? Der Schlag hatte ihn getroffen, während er an Adriana dachte! Es war etwas, das sie gesagt hatte! Er ging wieder auf die Veranda zurück. Der Appetit war ihm vergangen.
Und mit einem Mal konnte er sich an jedes einzelne Wort von Adriana erinnern. Er sprang auf, nahm die Zigaretten, stieg zum Strand hinunter und ging am Wasser spazieren. Drei Stunden später hatte er das Päckchen aufgeraucht und die Beine taten ihm vom vielen Laufen weh. Er kehrte nach Hause zurück, blickte auf die Uhr. Es war drei Uhr morgens. Er wusch sich, rasierte sich, warf sich in Schale und trank einen Espresso. Um Viertel vor vier ging er hinaus, setzte sich ins Auto und fuhr los. Zu dieser Stunde würde er im Kühlen fahren. Und zwar in seinem gewohnten Tempo, es gab keinen Grund für eine Rennfahrt alla Gallo.
Er fuhr einer Hoffnung hinterher. Die war so hauchdünn, ein solches Luftgebilde, dass ein Ja oder ein Nein ausgereicht hätte, sie völlig aufzulösen. Sagen wir also: Er fuhr einer verrückten Idee hinterher.
Er kam in Punta Raisi an, als es fast acht Uhr morgens war. Er hatte genauso lang gebraucht, wie ein normaler Fahrer für die Hin- und Rückfahrt gebraucht hätte. Aber es war eine ruhige Fahrt, er hatte keine Hitze ertragen müssen und keinen Grund gehabt, mit anderen Autofahrern herumzustreiten.
Er parkte und stieg aus. Hier atmete man leichter als in Vigàta. Als Erstes ging er zur Kaffeebar und trank einen starken doppelten Espresso. Danach stellte er sich im Kommissariat des Flughafens vor.
»Ich bin Commissario Montalbano. Ist Dottor Capuano da?«
Immer wenn er wegen Livias Ankunft oder Abreise dort war, stattete er ihm einen Besuch ab. »Er ist gerade gekommen. Sie können hineingehen, wenn Sie wollen.«
Er klopfte an und trat ein.
»Montalbano! Wartest du auf deine Verlobte?«
»Ich bin gekommen, weil ich deine Hilfe brauche.«
»Stets zu Diensten. Schieß los.«
Montalbano erzählte es ihm.
»Das wird zwar ein bisschen dauern. Aber ich habe den richtigen Mann dafür.« Und er rief: »Cammarota!«
Cammarota war ein Dreißigjähriger, schwarz wie Tinte, mit intelligent funkelnden Augen.
»Dottor Montalbano ist ein Freund von mir, er braucht bei seinen Nachforschungen ein wenig Unterstützung. Ihr könnt hierbleiben und meinen Computer benutzen, denn ich muss jetzt gleich zum Rapport beim Polizeipräsidenten.«
Sie hatten sich bis Mittag in Capuanos Büro eingeschlossen, tranken jeder zwei Espresso und zwei Bier. Cammarota stellte sich als fähig und kompetent heraus, er setzte sich mit Ministerien, Flughäfen und Fluggesellschaften in Verbindung. Am Ende hatte der Commissario alles in Erfahrung gebracht, was er wissen wollte. Als er sich ins Auto setzte, fing er an zu niesen, eine verzögerte Wirkung der Klimaanlage.
Auf halber Strecke sah er eine Trattoria, vor der drei Lastwagen Halt gemacht hatten, ein sicheres Zeichen dafür, dass man dort gut aß. Nachdem er bestellt hatte, ging er telefonieren.
»Adriana? Montalbano hier.«
»Oh, wie schön! Hast du beschlossen, mich einem Verhör dritten Grades zu unterziehen?«
»Ich muss dich sehen.«
»Wann?«
»Heute Abend, gegen neun, in Marinella. Wir essen bei mir.«
»Ich hoffe, ich kriege das geregelt. Gibt es Neuigkeiten?« Wie hatte sie das mitbekommen? »Ich glaube schon.«
»Ich hab dich gern.«
»Sag niemandem, dass du zu mir kommst.«
»Wo denkst du hin!«
Gleich darauf rief er im Kommissariat an und ließ sich sofort mit Fazio verbinden.
«Dottore, wo sind Sie denn? Ich habe Sie heute Morgen gesucht, weil…«
»Das kannst du mir später erzählen. Ich bin auf dem Rückweg von Palermo, ich muss mit dir reden. Wir treffen uns um fünf im Kommissariat. Sag bitte alles andere ab.« Die Trattoria hatte einen riesigen Flügelventilator unter der Decke, der ihn erfrischte. Er erlaubte ihm, sitzen zu bleiben, ohne dass das Hemd und die Unterhose an seiner Haut festklebten. Wie erwartet, aß er gut. Und als er sich wieder in den Wagen setzte, dachte er, dass, wenn die Hoffnung auf der Hinfahrt hauchdünn wie ein Fädchen war, sie jetzt, auf der Rückfahrt, groß und stark geworden war wie ein Seil. Wie ein Henkersseil.
Schräg und falsch, als ob ein Hund jaulte, fing er an, O Lola aus der Cavalleria rusticana zu singen.
In Marinella angekommen, ging er unter die Dusche, zog sich um und fuhr
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