Commissario Montalbano 11 - Die Flügel der Sphinx
und dessen Christusfigur Montalbano ebenfalls böse ansah, weil er mit Verspätung angekommen war. So kam es ihm zumindest vor.
»Es tut mir wirklich unendlich leid«, sagte Montalbano, als hätte er körperliche Züchtigung zu befürchten.
»Was wollen Sie von mir?«
»Mir wurde gesagt, dass Sie einer Organisation vorstehen, die sich damit beschäftigt, Arbeit für…«
»Ja. Die Organisation, wie Sie das nennen, ist ein vor fünf Jahren gegründeter Verein und hat einen Namen - Der gute Wille. Wir kümmern uns vor allem um sehr junge Frauen, um zu verhindern, dass sie in zwielichtige oder gar kriminelle Kreise geraten, etwa mit Drogenhandel, Prostitution…«
»Zu wie vielen sind Sie?«
»Abgesehen von mir, zu sechst. Drei Männer und drei Frauen. Allesamt ehrenamtliche Helfer, ausgestattet, wie gesagt, mit gutem Willen.«
»Wie kommen die Mädchen mit Ihnen in Kontakt?«
»Auf vielerlei Weise. Einige kommen selbst her, weil sie irgendwie von uns gehört haben, auf andere werden wir durch Pfarrer oder Vereine wie dem unseren aufmerksam gemacht, andere wiederum vermitteln uns ganz normale Mitbürger. Wieder andere können wir überzeugen, ihren derzeitigen Lebenswandel aufzugeben und sich unserer Obhut anzuvertrauen.«
»Wie schaffen Sie es, sie zu überzeugen?«, fragte der Commissario in der Hoffnung, dass die Überzeugungskraft des Vereins nicht auch härtere Methoden mit einschloss, wie sie zu einem Rugbyspieler gepasst hätten. »Unsere ehrenamtlichen Helfer gehen auf sie zu, entweder auf der Straße, wo sie angefangen haben, sich zu prostituieren, oder in den Nachtclubs … Kurz gesagt, wir versuchen, rechtzeitig zu ihnen vorzudringen, bevor etwas nicht Wiedergutzumachendes geschieht.«
»Wie viele von ihnen nehmen Ihre Hilfe denn letztendlich an?«
»Mehr als Sie sich vorstellen können. Viele Mädchen sind sich der Gefahren bewusst und ziehen dem leicht verdienten Geld eine ehrliche Arbeit vor.«
»Kommt es vor, dass dem einen oder anderen Mädchen die ehrliche Arbeit irgendwann zum Hals heraushängt und es wieder zum leicht verdienten Geld zurückkehrt?«
»Selten.«
»Könnte ich mit Ihren ehrenamtlichen Helfern reden?«
»Kein Problem.«
Er suchte auf dem Schreibtisch herum, griff nach einem Blatt Papier und reichte es dem Commissario. »Hier sind Namen, Anschriften und Telefonnummern.«
»Ich danke Ihnen. Ich bin wegen zwei jungen russischen Frauen gekommen, Katia und Irina, die Ihre Organisation, 'tschuldigung, Ihr Verein …«
»Über diese Irina ist mir leider einiges zu Ohren gekommen. Aber da dürfen Sie sich nicht an mich wenden.«
»Und an wen dann?«
»Sehen Sie, ich repräsentiere den Guten Willen rechtlich und offiziell; ich stehe ihm vor, ich treibe Gelder auf. Aber Sie dürfen mir glauben, wenn ich Ihnen sage, dass ich in den fünf Jahren nicht eines dieser Mädchen gesehen habe.«
»An wen muss ich mich also wenden?«
»An den ersten Namen auf der Liste. Das ist der Cavaliere Guglielmo Piro, nennen wir ihn mal den ausführenden Part.«
»Hat die Organisation, 'tschuldigung, der Verein einen Geschäftssitz?«
»Ja, in zwei kleinen Räumen in der Via Empedocle 12. Sie finden alle Angaben auf dem Blatt, das ich Ihnen gegeben habe.«
»Wie sind die Öffnungszeiten?«
»In der Via Empedocle ist erst nach sieben Uhr abends jemand. Tagsüber arbeiten meine ehrenamtlichen Helfer, verstehen Sie? Und außerdem genügt das Telefon für das, was wir tun. Aber jetzt bitte keine weiteren Fragen mehr. Sie müssen mich entschuldigen, ich habe noch einen Termin. Wenn Sie dafür gesorgt hätten, pünktlich zu sein …«
Und weil er nun schon einmal in Montelusa war, schaute er auf einen Sprung bei ›Retelibera‹ herein. Nicolò Zito sagte ihm gleich, dass er wenig Zeit habe, weil er mit den Nachrichten auf Sendung gehen müsse. »Weißt du, dass ich wegen der Fotos keine weiteren Anrufe bekommen habe außer den beiden am ersten Tag?«
»Das kommt dir sonderbar vor?«
»Ein bisschen schon. Soll ich sie noch einmal senden?«
»Heute noch mal, dann reicht's.«
Auch Montalbano war verwundert über die geringe Anzahl der Anrufe. Im Allgemeinen löste die Suche nach einer Person im Fernsehen eine Flut von Anrufen aus: Da riefen Leute an, die tatsächlich etwas gesehen hatten, Leute, die meinten, etwas gesehen zu haben, und Leute, die rein gar nichts gesehen hatten, aber trotzdem anriefen. Diesmal dagegen gab es nur zwei Anrufe, von denen der eine auch noch völlig nutzlos war.
Es
Weitere Kostenlose Bücher