Commissario Pavarotti trifft keinen Ton - Kriminalroman
Als sie nur nickte und ihn wortlos anschaute, wurde ihm auf einmal klar, dass sie Angst hatte. Diese Erkenntnis wunderte Pavarotti, denn die Gefahr war ja vorüber, und dank der Tapferkeit dieser jungen Frau, die Lissie in letzter Minute aus dem brennenden Haus gezogen hatte, war das Schlimmste abgewendet worden. Wahrscheinlich der Schock.
»Sie arbeiten als Empfangsdame im Hotel Felderer in den Lauben, nicht? Helfen Sie meinem Gedächtnis doch bitte auf die Sprünge«, begann Pavarotti. »Wie heißen Sie?«
»Matern. Viola Matern«, flüsterte die junge Frau.
Pavarotti nickte. Er zog seine Jacke aus und legte sie ihr um, über die nassen Haare und auf die Decke, die offenkundig nicht ausreichend wärmte.
»Das eben haben Sie toll gemacht«, sagte er vorsichtig. Er wollte die Frau möglichst nicht daran erinnern, dass sie durch ihre Rettungsaktion fast zu Tode gekommen war. Bei beiden Frauen hatten die Kleider Feuer gefangen, und es war nur der geistesgegenwärtigen Aktion eines Nachbarn, der die Schreie von Viola Matern gehört und aus seinem Fenster im ersten Stock ein paar Kübel Wasser auf die Frauen geschüttet hatte, zu verdanken gewesen, dass die beiden nicht verbrannten.
»Haben Sie eine Idee, wer das Feuer gelegt hat?«
Viola Matern schaute ihn groß an, sagte aber nichts. Pavarotti merkte, dass ihr Gesicht nicht vom Löschwasser nass war, sondern vom Weinen.
»Woher haben Sie denn gewusst, dass noch jemand in dem brennenden Haus war?«, fasste er nach.
Die Matern schluchzte einmal kurz auf, hob dann eine rußverschmierte Faust und rieb sich damit die Tränen aus den Augen. Nun sah ihr Gesicht aus wie das eines Pandabären, beide Augen zierten schwarze Ränder. Pavarotti konnte nicht anders, er musste grinsen, ließ es aber gleich wieder bleiben, als er den verzweifelten Gesichtsausdruck der Frau sah. Hier stimmte etwas nicht. Es war kein Zufall gewesen, dass die Frau gerade noch rechtzeitig in diesem Laden aufgetaucht war, das spürte er. Obwohl ihn sein Bauchgefühl häufig im Stich ließ, glaubte er, sich dieses Mal auf seinen Instinkt verlassen zu können.
Pavarotti holte Luft, um erneut nachzubohren, tat es dann aber doch nicht. Wenn Lissie jetzt an seiner Stelle wäre, würde sie der Frau zeigen, dass sie mit ihr fühlte, und sich gleichzeitig ganz behutsam weiter vortasten, so viel wusste er inzwischen. Die Frau wollte ihre Geschichte wahrscheinlich sowieso loswerden, er musste nur ein wenig Geduld haben. Wenn er sie bedrängte, würde sie sich bloß abkapseln.
»Lassen Sie sich Zeit«, sagte er deshalb so ruhig wie möglich.
»Ich hätt besser auf ihn aufpassen sollen«, kam es schließlich leise. »Ich bin schuld, ich ganz allein, der Vater ist ja krank im Kopf.«
Plötzlich verstand Pavarotti. »Elektro Aschenbrenner. Ihrem Vater gehört das Geschäft, nicht?«
Viola Matern nickte und wischte sich erneut über die Augen, die mittlerweile vom Weinen und dem verschmierten Ruß rot und entzündet aussahen.
Pavarotti bemerkte, dass ihre Wimpern fast völlig versengt waren, was ihrem Gesicht ein verletzliches Aussehen verlieh und es gleichzeitig auf eigenartige Weise geschlechtslos machte. Die Frau stieß einen jammernden Seufzer aus, und dann brach die Geschichte aus ihr heraus, wie ein Sturzbach, alles auf einmal, als ob es ihr jetzt nicht schnell genug gehen könnte. Der Commissario hatte Mühe, ihrem durch Schluchzer unterbrochenen Wortschwall zu folgen. Was er sich schließlich zusammenreimen konnte, lief auf einen zunehmenden, am Ende krankhaften Hass von Violas Vaters auf Emil Felderer hinaus.
Viola Matern berichtete, ihr Vater habe im letzten Jahr von nichts anderem gesprochen als davon, dass Felderer in der Hölle schmoren und für seine Sünden büßen werde.
»Für was für welche, weiß ich nicht genau«, bekannte die junge Frau stockend. »Irgendwas mit meinem Großvater, an dessen Tod der alte Felderer angeblich schuld gewesen sein soll. Vor ein paar Jahren, als mit ihm noch vernünftig zu reden war, hab ich nicht zugehört. Wenn er mit seinen alten Geschichten kam, hab ich auf Durchzug geschaltet.« Resigniert zuckte sie die Schultern. »Mit Anfang zwanzig hatt ich was anderes im Kopf und war eh bloß zum Schlafen daheim.« Sie senkte den Kopf und schaute auf ihre mit Mullbinden umwickelten Unterarme. »Und irgendwann war nichts Gescheites mehr aus ihm herauszubringen. Er hat nur noch unverständliches Zeug gebrummelt und Drohungen gegen Felderer ausgestoßen.«
Obwohl er
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