Commissario Pavarotti trifft keinen Ton - Kriminalroman
wusste, dass er sie damit wahrscheinlich brüskierte, konnte Pavarotti sich jetzt nicht mehr zurückhalten. »Frau Matern, spätestens dann muss Ihnen doch klar gewesen sein, dass Ihr Vater krank war, dass er möglicherweise sogar eine Gefahr darstellte. Warum haben Sie denn nichts unternommen?«
Viola Matern schwieg einen kurzen Moment. Dann schaute sie ihn trotzig an. Ihre Augen glänzten jetzt wie dunkelgraue Kiesel am Strand, die das Meerwasser nass gemacht hatte, bevor es sich wieder zurückzog.
»Was hätt ich denn schon tun können? Zu einem Psychiater hätte ich ihn nicht gekriegt. Nie und nimmer. Und sonst?« Sie zuckte wieder die Schultern und zupfte an der feuchten Decke, aus der ein Geruch von nassem Hund aufstieg und unangenehm in Pavarottis Nase kitzelte. »Hätt ich ihn melden sollen? Den eigenen Vater? Oder ihn vielleicht sogar einweisen lassen?«
»Weiß ich nicht«, antwortete Pavarotti. »Aber auf jeden Fall hätten Sie was tun müssen.«
Er verlor langsam die Geduld mit ihr. Anfangs hatte er sie wegen ihrer Courage bewundert, aber mittlerweile stieß ihn ihre Selbstgerechtigkeit ab. Die Frau hatte neben einer tickenden Zeitbombe hergelebt und nichts unternommen. Und zwar nicht, weil sie ihren Vater beschützen wollte, das kaufte er ihr nicht ab, sondern weil es für sie am bequemsten gewesen war, einfach wegzuschauen.
»Was ist heute passiert? Warum sind Sie zu ihm ins Geschäft?«, fragte er mit zunehmender Schärfe in der Stimme.
Viola Matern warf ihm einen harten Blick aus ihren Kieselaugen zu, der ihm zeigte, dass er sie richtig einschätzte. »Die blöde Kuh, die bei uns im Hotel wohnt, wollte zu Vater in den Laden, angeblich um einen Föhn zu kaufen«, bequemte sie sich schließlich zu einer Auskunft. »Ich hab aber genau gewusst, dass die bloß schnüffeln wollte.«
»Aha, und woher wussten Sie das?«
»Ich hab gehört, dass einer der VEMEL -Oberen das dem Vater gesteckt hat. Der saß bei ihm zu Haus auf der Couch, und ich war in der Küche. Die Durchreiche war aber offen.« Die Matern verzog das Gesicht zu einem unangenehmen Lächeln. »Der hat gesagt, dass eine Deutsche wegen der alten Geschichten rumfragt und dass der Vater den Mund halten soll, weil sonst alles in die Zeitung kommt.«
Ohne Übergang schlüpfte sie wieder in die Rolle des zerrupften Mädels. »Und weil die doch eine Journalistin ist, dachte ich, jetzt will sie den Vater ausfragen. Ich wollte nicht, dass er sich aufregt und ihr irgendwas Irres erzählt, was nachher in der Zeitung steht. Und alle wissen dann, dass er nicht mehr ganz richtig ist.« Sie strich mit den Fingerspitzen vorsichtig über den Mullverband. »Da bin ich ihr nach, sobald ich aus dem Hotel wegkonnte.«
Pavarotti war sicher, dass das gelogen war. Es hörte sich einfach nicht richtig an. Er holte sein Handy heraus, um die Fahndung nach Peter Aschenbrenner einzuleiten, und stemmte sich vom Sitz hoch. »Haben Sie eine Vermutung, wo Ihr Vater jetzt sein könnte?« Dabei fixierte er die Frau scharf.
Viola Matern wich seinem Blick aus und schaute vom Armaturenbrett zum Lenkrad und wieder zurück, als sei von dort eine Antwort zu erwarten. Dann hob sie die Schultern. »Sein Auto steht nicht da, wo es sonst steht, wenn er im Laden ist. Und vor unserm Haus ist es auch nicht. Ich hab eine Nachbarin angerufen, bevor ich los bin, weil ich gehofft hab, dass er daheim geblieben ist. Ihm war nicht gut heut Morgen.« Sie schwieg. Pavarotti hätte sie schütteln können.
»Wahrscheinlich fährt er wieder stundenlang in der Gegend rum und verbraucht sinnlos Benzin, das macht er ganz oft«, sagte sie dann noch in das Klingeln von Pavarottis Telefon hinein.
Er drückte auf »Empfang«, meldete sich und hörte eine Minute schweigend zu. Dann klappte er das Gerät zusammen und sagte, bereits im Aussteigen: »Die Suche hat sich erledigt. Ihr Vater ist gefunden worden. Ich muss Ihnen leider sagen, dass er tot ist.«
Er schaute ihr prüfend ins Gesicht, ob sie erleichtert wirkte, aber ihre Augen gaben keine Empfindung preis.
»Er hat sich anscheinend mit dem Wagen in den großen Steinbruch bei Terlan gestürzt.«
Sie starrte ihn weiter an, ohne etwas zu sagen.
Als Pavarotti schon auf der Straße stand, fiel ihm noch etwas ein. »Warum heißen Sie eigentlich Matern mit Nachnamen und nicht Aschenbrenner?«
»Weil mein Vater meine Mutter nie geheiratet hat«, kam die wütende Antwort aus der Fahrzeugkabine. »Wir haben ihm nicht gereicht. Andauernd hat er was mit
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