Commissario Pavarotti trifft keinen Ton - Kriminalroman
im Schlamm steckten. Am Tag darauf würde das Grubenwasser zwar sowieso abgepumpt werden, aber Pavarotti hatte keine Lust gehabt, so lange zu warten. In ihm verstärkte sich das Gefühl, dass sich die Ereignisse beschleunigten. Sicher, wenn der Tote da unten ein Doppelmörder war, dann war keine Eile mehr notwendig. Noch war allerdings nichts bewiesen.
Lichtreflexe blitzten auf, als sich die Wasseroberfläche kräuselte. Die Fahrertür des Volvos stand weit offen. Der Oberkörper des Toten hing aus der Türöffnung. Er lag mit dem Gesicht nach unten im Wasser. Pavarotti hatte den Eindruck, dass sich der Körper durch den auffrischenden Wind leicht hin- und herbewegte, doch das konnte auch eine optische Täuschung sein.
Das einzig Markante, das Pavarotti aus seiner derzeitigen Position ausmachen konnte, waren kurze silberne Haarsträhnen, in denen sich das Licht der Strahler verfing. Aber auch aus der Nähe hätte Pavarotti den Toten nicht identifizieren können. Er hatte den Mann nicht gekannt. Er wandte sich wieder zu Kohlgruber, der ganz gegen seine sonstige Natur immer noch schweigend neben ihm stand. »Ist er das überhaupt?«
Kohlgruber nickte langsam. »Ja, das ist er schon, der Peter.« Dann verfiel er wieder in Schweigen.
»Ist was mit dir?«, entfuhr es Pavarotti, ohne nachzudenken. Danach hätte er den Ausruf am liebsten dahin zurückgeschoben, wo er hergekommen war. Natürlich war was mit ihm. Pavarotti hatte einen Moment lang vergessen, dass Kohlgruber gebürtiger Meraner war, dessen Familie seit Generationen hier ansässig war. Kohlgruber gehörte zur gleichen Generation wie Aschenbrenner. Vermutlich hatte er den Toten gut gekannt. Meran war ja schließlich keine Großstadt.
Außerdem, bei den Älteren war es in ihrer Kindheit oft nicht gerade lustig hergegangen. Die Väter im Knast, auf der Flucht, Aufenthaltsort unbekannt, oder sogar tot, und die Mütter schwankten zwischen tagelangem Heulen, Trotz und einer bitterbösen Tapferkeit. Die damals gemeinsam erlebten harten Zeiten schweißten zusammen. War Kohlgrubers Vater nicht auch im Widerstand gewesen?
Er wollte Kohlgruber gerade beschwichtigend eine Hand auf den Arm legen, da funkelte der ihn an. »Keine Zärtlichkeiten bitt’schön, es is nix.«
Pavarottis Hand zuckte zurück, und er krümmte sich innerlich. Er hätte es wissen müssen. Da war es wieder, das große »Betreten verboten«-Schild für ihn als Italiener. Pavarotti konnte nicht anders, er fühlte sich verletzt. Jetzt hatte ihn also sogar Kohlgruber abblitzen lassen, den er insgeheim für mehr als einen Arbeitskollegen gehalten hatte.
Pavarotti räusperte sich, um wieder zur Sachebene zurückzukommen, was ihm nicht leichtfiel. Doch bevor er zum Sprechen ansetzen konnte, erschien einer von Kohlgrubers Leuten am Rand der Senke und hielt eine schmale Alubox in der Hand. Er keuchte, anscheinend hatte er den Anstieg im Laufschritt bewältigt.
»Haben wir im Wasser direkt neben dem Wagen gefunden«, erklärte er schwer atmend. »Wahrscheinlich beim Aufprall rausgefallen.« Auf Kohlgrubers fragenden Blick schüttelte er den Kopf. »Nein, keine Fingerabdrücke. Also, es sind schon welche drauf gewesen, aber die sind durch das Wasser jetzt für uns unbrauchbar.«
Kohlgruber nickte und reichte den Behälter wortlos an Pavarotti weiter. Bevor der ihn nahm, streifte er sich ganz automatisch Latexhandschuhe über, obwohl es nach dem, was der Spusi-Mann eben gesagt hatte, eigentlich überflüssig war. Als Pavarotti die Box untersuchte, merkte er, dass sie aufgebrochen worden war. Der Schnappverschluss war zerkratzt und verbogen. Anscheinend hatte sich die Spurensicherung nicht lange mit handwerklichen Feinheiten aufgehalten.
»Die Sach ist ja so was von klar. Er wollte wohl, dass wir den Inhalt finden. Hatte wahrscheinlich Angst, dass der Wagen Feuer fängt, Alu ist ja einigermaßen feuerfest«, kam es grummelnd von links. Pavarotti wurde leichter ums Herz. Kohlgruber schien wieder halbwegs der Alte zu sein.
Er klappte die beiden Hälften der Box auseinander. Drin war ein Plastikbeutel mit Zippverschluss, wie man ihn beim Fliegen für Flüssigkeiten im Handgepäck benutzt. Pavarotti fasste in den Beutel und zog ein Bündel Seiten aus kariertem Papier heraus, die mit einer gestochen scharfen Handschrift mit vielen Ober- und Unterlängen beschrieben waren.
»Ich setz mich ins Auto zum Lesen. Hier ist’s mir zu dunkel«, verkündete er. Das stimmte, aber vor allem wollte er den Inhalt erst
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