Commissario Pavarotti trifft keinen Ton - Kriminalroman
einmal allein verarbeiten.
Kohlgruber nickte und wies mit dem Kinn auf den Plastikbeutel. »Sein Geständnis, wirst schon sehen«, sagte er leise. »Ein feiger Hund war er nicht, der Peter. Auch wenn er ein aufgeblasener Angeber war, schon als Knirps. Dabei waren die Aschenbrenners überhaupt nix. Mit seinem Vater hat er’s immer ganz besonders gehabt, was aus dem Besonderes geworden wär, wenn ihn nicht die Italiener abgemurkst hätten.« Er streifte Pavarotti mit einem scheelen Blick. »Mal war’s ein berühmter Schauspieler, der ganz bestimmt nach Hollywood gegangen wäre, so eine Art James Dean aus Südtirol.« Kohlgruber lachte humorlos auf. »Ein ander’s Mal war’s dann wieder ein berühmter Rock-’n’-Roll-Star. Ob der überhaupt hat singen können …« Kohlgruber zuckte die Schultern und begann, wieder auf die Szenerie in der Senke hinunterzustarren.
* * *
Im Licht der funzeligen Deckenleuchte seines 75er Alfa, den er als Dienstwagen von seinem Vorgänger übernommen hatte, faltete Pavarotti die Blätter auseinander und begann zu lesen.
Eingangs schwafelte der Schreiber über den angeblich ungesunden Nationalstolz der BAS -Leute, die ihn in ihrer Runde nie akzeptiert hätten. Der Text schwankte zwischen Selbstmitleid und Zynismus. Von Peter Aschenbrenner konnte der Brief schon rein zeitlich nicht stammen. Der war in den Sechzigern höchstens ein kleiner Bub gewesen, falls er zu der Zeit überhaupt schon geboren war. Pavarotti zog das letzte Blatt hervor, das eine steile und mit vielen Schlaufen überladene Unterschrift zierte – Emil Felderer.
Pavarotti schüttelte ungläubig den Kopf. Kohlgruber hatte in Felderers Arbeitszimmer doch tatsächlich richtiggelegen. Felderer hatte wirklich einen Abschiedsbrief geschrieben. Den Aschenbrenner an sich genommen und aufgehoben hatte.
Plötzlich begann Pavarotti vor Aufregung zu schwitzen, trotz der Kühle im Wagen, dessen Heizung noch nie richtig funktioniert hatte. Er fuhr sich über die Stirn, um die Schweißtropfen aufzufangen. Als er wieder nach dem Papier griff und merkte, dass die Tinte an der Stelle verlief, an der er es angefasst hatte, wischte er seine Hand an der Hose ab.
Felderer senior war ein Stück Dreck gewesen. Er hatte den Verrat an seinen Landsleuten zum Geschäftsprinzip gemacht. Die ganze Geschichte von dem angestammten, über die Jahre aufgebauten Familienvermögen der alten Meraner Sippe war erstunken und erlogen. Seine Eltern, so schrieb der Alte in weinerlichem Ton, waren Pachtbauern bei Terlan gewesen, nicht bettelarm, aber weit davon entfernt, vermögend zu sein. Wahrscheinlich hatten sich die beiden Jahr für Jahr die Lire vom Mund abgespart, um ihren Sohn nach Bozen zum Studieren zu schicken. In der besseren Gesellschaft hatten sie natürlich überhaupt keine Rolle gespielt, zum Missvergnügen ihres geltungssüchtigen Sprösslings.
Passagen in verständnisheischendem, jämmerlichen Ton wechselten sich mit großspurigen Bemerkungen ab, in denen sich Felderer über die Leichtgläubigkeit seiner Mitmenschen mokierte. Das Ganze war krank, und Pavarotti musste sich zwingen, das Geschreibsel nicht einfach zu einer Papierkugel zusammenzuknüllen und aus dem Autofenster zu werfen.
Selbstzufrieden ließ sich Felderer über ein Stipendium einer staatlichen Literaturakademie aus, nachdem er anscheinend schon vor der Reifeprüfung den Akademiepreis für die beste Kurzgeschichte in italienischer Sprache gewonnen hatte. Irgendwann vollführte Felderer dann eine Drehung um hundertachtzig Grad und begann neben seinem Studium als freier Journalist für den Lokalteil der »Dolomiten« zu arbeiten. Felderer schrieb, dass er den Vater des derzeitigen Verlegers dazu gebracht hatte, ihn zu fördern. Pavarotti las unangenehm berührt, wie Felderer sich brüstete, den Mann um den Finger gewickelt zu haben, um in dessen Windschatten zu mehr Geltung zu kommen und die richtigen Leute kennenzulernen. Dem Verleger, der ein glühender Anhänger der Südtiroler Autonomiebestrebungen war, hatte Felderer vorgemacht, ebenfalls damit zu sympathisieren – mit dem Effekt, dass ihn sein begeisterter Gönner in die BAS -Szene einführte. Und damit hatte alles angefangen.
Pavarotti schüttelte den Kopf. Der Zeitungsmann hatte sich nach allen Regeln der Kunst aufs Glatteis führen lassen. Wie kam es, dass er diesem jungen Eisklotz seine angebliche Begeisterung für Südtirol abgenommen hatte? Der Junge war ein gefühlskalter Blender gewesen. Wahrscheinlich
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