Commissario Pavarotti trifft keinen Ton - Kriminalroman
hatte er rotzfrech probiert, aus ein paar angelesenen geschichtlichen Brocken das Optimum herauszuholen, und war damit durchgekommen. Hatte Felderer überhaupt eine Zeile für die Politikseiten geschrieben? Bestimmt nicht, denn da wären seine mangelnden Kenntnisse schnell aufgeflogen. Vermutlich hatte er sich tunlichst von den Politikredakteuren ferngehalten.
Pavarotti fiel ein, dass Lissie vor ein paar Tagen im Archiv der »Dolomiten« nach Hinweisen auf Emil Felderers Vergangenheit gesucht hatte. Anscheinend nicht gründlich genug. Den Autorenkatalog der Zeitung hatte sie offenbar nicht durchwühlt, sonst wäre sie auf den Autor Felderer gestoßen. Einen Moment lang musste Pavarotti grinsen. Schade, dass Lissie nicht hier war. Er hätte gerne ihr Gesicht gesehen, als sie erkannte, welchen kapitalen Bock sie geschossen hatte. Dann wurde er wieder ernst. Vermutlich waren diese alten Zeitungsjahrgänge überhaupt nicht digitalisiert. Und wenn schon. Dass Felderer damals für die Zeitung geschrieben hatte, bedeutete ja zunächst einmal nichts. Viel aufschlussreicher war der Preisträger Emil Felderer, dessen finanzielle Unterstützung durch den italienischen Staat damals ihren Anfang genommen hatte. Als der Widerstand sich formierte und reihenweise Bomben hochgingen, war der italienische Geheimdienst auf den ehemaligen Stipendiaten aufmerksam geworden, der gerne italienisches Geld nahm und in der BAS -Szene ein und aus ging. Besonderer Überredungskünste hatte es wohl nicht bedurft, um Felderer für Spitzeldienste anzuwerben.
Pavarotti wandte die Seiten um. Die Lektüre deprimierte ihn, aber er zwang sich, Felderers Bericht zu Ende zu lesen. Er erfuhr, dass Felderer für seinen Reporterjob oft in Südtirol unterwegs war und sich dadurch als Verbindungsmann zwischen verschiedenen Einheiten anbot. Denn der BAS war alles andere als straff organisiert gewesen, und viele Zellen hatten nur in loser Verbindung zueinander gestanden. Felderer mokierte sich, dass die »saudummen Burschen«, wie er sie nannte, gar nicht merkten, dass er sie einen nach dem anderen den italienischen Behörden auf dem Silbertablett servierte. Mehr als ein Dutzend Männer wurden auf der Flucht verhaftet, nachdem Felderer seinem Kontaktmann in Mailand ihren Aufenthaltsort durchgegeben hatte. Zwei davon waren ihm eine besondere Erwähnung wert. Bei Luis Loipfertinger, der auf der Flucht erschossen wurde, langte es zu einem achselzuckenden Kommentar, dass er halt hätte stehen bleiben sollen. Er habe es ihm noch am Tag vorher eingeschärft, für den Fall, dass er auffliegen solle. Aber der Depp habe nur gelacht.
Der andere Tote, sein bester Freund Hans Aschenbrenner, hatte ihn anfangs wohl wirklich bekümmert. Es sei nicht geplant gewesen, dass er sterben solle, schrieb Felderer in weinerlichem Ton. Hans habe viele Verbindungsleute im BAS persönlich gekannt, deren Namen für die italienische Polizei extrem wichtig gewesen seien. Er habe nicht anders können. Man habe ihm aber versprochen, dass Hans freikomme, wenn er die BAS -Leute nenne. Doch der dumme Mensch habe partout nichts verraten wollen.
Pavarotti hielt einen Moment inne und rieb sich mit zwei Fingern über die Nasenwurzel. Er war unfähig, die Gefühle einzuordnen, die auf ihn einstürmten. Spürte er schlicht Wut, weil da einer eiskalt seine Freunde verkaufte und am Ende ihnen die Schuld an ihrem Tod zuschob, weil sie außerhalb seiner eigenen niederen Maßstäbe gehandelt hatten? Oder war es Fassungslosigkeit angesichts dieser Tragikomödie, in der einer, der selbst von der Obrigkeit benutzt wurde, allen Ernstes geglaubt hatte, in diesem absurden Theater noch Regie führen zu können?
Pavarotti nahm das vorletzte Blatt in die Hand. Hans Aschenbrenner hatte seinen Freund offenbar schon monatelang verdächtigt und ihm eine Falle gestellt. Als Köder hatte sich Hans selbst angeboten. Er teilte seinem Freund Emil in einem Brief mit, dass er einen neuen Unterschlupf habe, in einem Viehstall unterhalb der Mutspitze. Aschenbrenner schrieb, dass er nur ihm, seinem besten Freund Emil, traue, und er solle ihm doch Brot und Speck bringen, damit er es für ein paar Wochen dort oben aushalten könne. Ohne zu zögern hatte Felderer daraufhin die Carabinieri in Marsch gesetzt.
An dieser Stelle des Briefs änderte sich der Ton des Schreibens vollkommen. Emil Felderer lamentierte nicht mehr, sondern spuckte Gift und Galle, weil sein Kumpel Hans anscheinend die Frechheit besessen hatte, ihn
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