Commissario Pavarotti trifft keinen Ton - Kriminalroman
hoch. Bloß nicht wieder verfranzen. Der Weg war aber ausreichend breit und im hellen Mondlicht nicht zu verfehlen. Hoffentlich ist die Alm um diese Zeit überhaupt noch offen, fuhr es Lissie durch den Kopf.
Nach einer weiteren Wegbiegung sah sie das Haus. Gut geschützt lag es da, eingebettet in die letzten Ausläufer des Nadelwalds. Die Alm war nicht mehr die jüngste, aber ihre weiß getünchte Außenmauer, die sich gut sichtbar gegen die dunklen Tannen abhob, erschien Lissie verführerischer als die elegante Front eines Fünf-Sterne-Hotels.
Alle Fenster waren dunkel. Aus dem Schornstein kräuselte sich noch ein wenig Rauch. Lissie fluchte laut. Wahrscheinlich hatte sie den Bauern knapp verpasst. Der saß vermutlich gerade warm und trocken in seinem klapprigen Kombi und tuckerte die letzten Meter nach Hafling hinunter.
Am Haus angekommen, rüttelte sie an der Tür. Abgeschlossen. Diese Enttäuschung war zu viel. Lissie fing laut an zu heulen und schmiss vor lauter Wut einen Stein auf eines der unteren Fenster. Das daraufhin mit Schwung aufgerissen wurde.
»Ja, san S’ denn bled? Spinnen S’ denn?«, schrie eine Frau und fuchtelte wild mit irgendetwas herum.
Lissie wischte sich die Tränen mit dem Handrücken ab und stolperte Richtung Fenster. Sie hatte keine Ahnung, was sie jetzt sagen sollte. Beim Näherkommen sah sie, dass die Frau alt war, bestimmt schon über siebzig. Sie hatte einen Frotteebademantel an und hielt einen rosa Lockenwickler in der Hand. Lissie wurde klar, dass sie die Frau gerade bei der Abendtoilette aufgescheucht hatte.
»Ent-«, sie musste schniefen. »Entschuldigen Sie vielmals. Bitte entschuldigen Sie. Ich hab oben bei den Mandln im Nebel den Weg verloren und irre schon seit Stunden herum. Dann hab ich die Alm gefunden, aber als dann die Tür zugesperrt war, konnte ich einfach nicht mehr.«
Stille. Das Fenster wurde geschlossen. Wenig später drehte sich der Türschlüssel im Schloss.
»Kommen S’ rein. Ja, der Nebel da oben, der kann einen scho ganz narrisch mochn.« Die Frau schob sie in den Hausflur. »Oh mei, Sie sind ja ganz nass und durchg’frorn. Ziehen S’ erst einmal Ihre Sach’n aus.« Sie öffnete einen Schrank und drückte Lissie einen verbeulten Jogginganzug in die Hand.
Dankbar nahm Lissie die Kleidungsstücke. Sie wurde in ein gut geheiztes Badezimmer verfrachtet, in dem ihre Gastgeberin offenbar gerade selbst vor dem Spiegel gestanden hatte. Auf der Ablage befand sich ein Stillleben aus Lockenwicklern, die mit grauen Haarbüscheln gespickt waren. Nette Deko.
Die Frau wuselte nach hinten. »Ich mach Ihnen eine Supp’n warm. Dann wird’s gleich wieder.«
Lissie rief ihr nach: »Ist die Scheibe kaputt?«
»Naa«, kam es von hinten. »Die hat bloß an kloanen Kratzer. Das Fenster is alt, und es ziagt durch die Ritz’n, aber das Glas selber is dick. Das holt scho was aus. Früher hat man viel g’fensterlt, verstehen S’? Die Bub’n ham o olwei Stoaner g’schmissen.«
Lissie musste grinsen. Offenbar sprach da jemand aus eigener Erfahrung. Sie setzte sich aufs Klo und fing an, ihre Wanderschuhe aufzuschnüren. Als sie endlich die klobigen Dinger von den Füßen hatte, begann sie, ihre Zehen zu massieren. Es kribbelte wie verrückt, als endlich wieder Leben in ihre unteren Extremitäten kam.
Der zweite Abend hintereinander ohne Pavarotti, fiel ihr plötzlich ein. Gestern hatte sie in irgendeiner kleinen Trattoria am Sandplatz allein zu Abend gegessen und sich anschließend in ihrem Hotelzimmer verschanzt. Hoffentlich machte sich der Dicke keine Sorgen, wo sie steckte. Sie holte ihr Handy heraus. Kein Saft mehr. Das Ladekabel war natürlich unten im Hotel in Meran. Dann fiel ihr ein, dass sie seine Nummer ja ohnehin nicht hatte. Auch gut.
Sie zog die viel zu weite Jogginghose hoch, machte oben an der Taille einen Knoten und öffnete die Badezimmertür. Draußen roch es nach Dosensuppe. Qualm zog durch den dunklen Flur, wahrscheinlich war das gerade angezündete Feuerholz ein wenig feucht gewesen.
Ganz hinten in ihrer Kehle fing etwas an zu kitzeln. Das lag aber nur zum Teil am Qualm. Lissie war eingefallen, dass die alte Frau und Felderer senior etwa im gleichen Alter sein mussten.
* * *
Am nächsten Morgen saß Luciano Pavarotti erschöpft in der Bar des Hotels Aurora im noblen Stadtteil Obermais. Den Vortag hatte er damit zugebracht, selbst in den Lauben Klinken zu putzen, nachdem die beiden Dummköpfe bei ihren Befragungen keinerlei Resultate erzielt
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