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Commissario Pavarotti trifft keinen Ton - Kriminalroman

Commissario Pavarotti trifft keinen Ton - Kriminalroman

Titel: Commissario Pavarotti trifft keinen Ton - Kriminalroman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elisabeth Florin
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Zettel.
    Albrecht knüllte Lucianos Nachricht zusammen und schnippte sie in hohem Bogen in den Papierkorb.
    Er überlegte, ob er das Deckenlicht einschalten sollte. Auf der anderen Seite passte das Halbdunkel im Laden zu seiner Stimmung.
    Albrecht entschied sich für einen Kompromiss und knipste ein kleines Wandlämpchen unmittelbar neben dem Schaufenster an. Damit die Fremden wenigstens sehen, dass das Geschäft noch geöffnet ist, dachte er.
    Ein wenig Licht fiel auf eine kleine Gruppe von Fotografien an der Wand. Albrecht musste lächeln, als er seine Eltern in Südtiroler Tracht begutachtete. Die Mutter stand stocksteif und ohne den Ansatz eines Lächelns da. Renate Klausner war eine harte, prinzipienstrenge Frau gewesen, und Empathie für andere hatte nicht zu ihren Stärken gehört.
    Das Bild war Ende der Sechziger in Bozen aufgenommen worden. So lange Albrecht zurückdenken konnte, war sein Vater, der nie ein mehr als rudimentäres Interesse für die deutsche Politik aufbrachte, ein fanatischer Bewunderer der Südtiroler Freiheitsbewegung gewesen. Siegfried Klausner stammte aus einem Dorf in der Nähe von Mittenwald, unmittelbar an der österreichischen Grenze. Das Thema Südtirol hatte wohl einfach zu seiner Kindheit gehört. Albrecht dachte, dass das auch auf ihn zutraf. Seit seiner frühesten Kindheit hatten sich die erbitterten Streitigkeiten seiner Eltern in schöner Regelmäßigkeit an dem Umstand entzündet, dass sich Siegfried Klausner immer stärker in die deutsche Unterstützerszene für die Südtiroler Freiheitskämpfer hineinziehen ließ, obwohl »die depperten Hinterwäldler da unten uns einen Dreck angehen«, wie sich seine Mutter ausgedrückt hatte.
    Doch so nachgiebig und schwach sich Siegfried Klausner in allen anderen Fragen des ehelichen Zusammenlebens verhielt, bei der Südtirolfrage gab er nicht nach.
    Siegfried Klausner war Lehrer gewesen, und er hatte seiner Schule regelmäßig nächtliche Besuche abgestattet, um am Schulkopierer Tausende von Flugblättern für den Südtiroler Befreiungskampf zu produzieren. Sein Vater hätte seinen Job und die ganze Familie ihren Unterhalt verloren, wenn seine Aktivitäten aufgeflogen wären. Auch wenn Albrecht die Angst seiner Mutter vor den Folgen, die in ihrem Hass auf das ganze Südtiroler »Geschmeiß« kulminierte, heute zumindest verstehen konnte – die Unnachgiebigkeit seines Vaters respektierte Albrecht bis heute.
    Einmal hatte Siegfried Klausner den Transport selbst übernommen, als die nächste Fuhre Flugblätter nach Südtirol anstand. Wie die Familie später erfuhr, wäre er dabei um ein Haar am Brenner geschnappt worden. Die Italiener gingen damals bei sogenannten antinationalen Aktivitäten mit Gefängnisstrafen nicht gerade zimperlich um, auch bei Ausländern nicht.
    Albrecht zwinkerte seinem Vater zu und schnitt seiner Mutter eine Grimasse. Er musste lächeln. Alles in allem war seine Kindheit gar nicht schlecht gewesen. Und nun war er in seinen späten Jahren durch die misslungene Ehe mit Editha, ganz ohne Mitwirkung des Vaters, in einer der Hochburgen der Südtiroler Untergrundkämpfer gelandet. Albrecht war sich allerdings nicht sicher, ob Siegfried Klausner begeistert wäre, dass sich sein Sohn in Südtirol als schnöder Schnapsverkäufer betätigte.
    Nur die Wahl des Hauses selbst, in dem sich seine Enoteca befand, die hätte der Vater gutgeheißen, trotz des schlechten Allgemeinzustands, der zugigen, nur einfach verglasten Fenster und des deutlich erkennbaren Wasserschadens an der Decke in einem der hinteren Lagerräume. Das Haus war etwas ganz Besonderes, auch nach den hohen Maßstäben, die sein Vater anlegte.
    Als das Telefon hinter ihm zu klingeln begann, fuhr Albrecht zusammen. Mühsam fand er in die Gegenwart zurück. Sein Vater konnte ihm nicht mehr helfen. Und Träumereien brachten ihn jetzt auch nicht weiter.

FÜNF
    Mittwoch, 4. Mai – Donnerstag, 5. Mai
    Als sie endlich die Aussichtsterrasse der Wurzer Alm erreicht hatte, ließ sich Lissie auf die erste verfügbare Holzbank sinken. Erschöpft war sie eigentlich nicht, bloß ziemlich außer Atem. Lissie hielt sich für recht gut in Form, war aber den steilen Weg dermaßen hinaufgestürmt, dass sie zum Schluss doch Seitenstechen gekriegt hatte.
    Nach wenigen Minuten atmete sie wieder ruhiger und schaute sich um. Noch war die Terrasse der sonst gut besuchten Alm fast leer, mit Ausnahme von zwei verhutzelten Bauersfrauen, die anscheinend von ihren Höfen ausgebüxt waren

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