Commonwealth-Saga 3 - Der entfesselte Judas
Abfall-Management, und befahl seinem E-Butler, alles zu kopieren. Der Download nahm lange Zeit in Anspruch.
Kapitel Vier
Einhundertzwanzig Jahre.
Er staunte darüber, wie sie vergangen waren, ohne dass er etwas davon bemerkt hatte. Er war überrascht, dass die vielen Jahre verflogen waren, dass er kein Gefühl für die Zeit hatte. Er vermochte sich nicht einmal an Träume zu erinnern, doch andererseits waren seine Gedanken auch langsam und träge, während er von einem Zustand tiefsten Schlafs zu vollem Bewusstsein wechselte. Bis jetzt hatte er die Augen noch nicht geöffnet. Für den Augenblick gab er sich damit zufrieden, in Form von ein paar ersten, vorsichtigen Gedanken inmitten der unendlichen Dunkelheit zu existieren.
Erinnerungen – er war sich ihrer bewusst, wirre Farben und Gerüche, nicht substantieller als Geister. Während sie um ihn herum wirbelten, nach und nach stärker und körperlicher wurden, boten sie ihm irreale Ausblicke auf fremdartige Welten, Orte, an denen Licht und Geräusche früher einmal existiert hatten. Eine Zone von Zeit und Raum, die er eingenommen hatte, als er seine früheren Leben gelebt hatte.
Er wusste jetzt, warum er weg gewesen war. Er empfand keine Schuld, als er sich erinnerte. Stattdessen verspürte er eine warme Zufriedenheit. Er war noch immer lebendig; sein Verstand funktionierte – und wahrscheinlich sein Körper ebenfalls, auch wenn er erst in einer Weile dahinkommen würde. Sobald er dazu bereit war. Es würde sicherlich ein interessantes Universum werden, dieses neue, in das er treten würde. Selbst das Commonwealth mit all seiner massiven sozialen Trägheit musste sich in viele Richtungen weiterentwickelt haben. Die Technologien dieser neuen Zeit mussten beängstigend sein, die Größe gewaltig. Sicherlich hatten sie inzwischen angefangen, sich in den Phase-IV-Raum auszudehnen, wenn nicht sogar bereits Phase V. Damit einher gingen fantastische Gelegenheiten. Er konnte einen neuen Anfang machen. Nicht ganz so skrupellos diesmal, natürlich nicht, doch es gab keinen Grund, warum er nicht all das zurückgewinnen sollte, was ihm schon einmal gehört hatte, bevor es auf so frustrierende Weise seinem Griff entglitten war.
Grauheit kämpfte nun um seine Aufmerksamkeit, kämpfte an gegen die spottend flüchtigen Erinnerungen. Grauheit, die von Licht herrührte, das auf seine geschlossenen Augenlider fiel. Sie war gefärbt mit einem Funken Rot. Blut. Sein Herz schlug in einem langsamen, entspannten Rhythmus. Ein Geräusch drang an seine Ohren, ein leises Atmen. Menschliches Atmen. Sein eigenes. Er atmete. Sein Körper war lebendig und unversehrt. Und nun, als er ihn zur Kenntnis nahm, spürte er, wie seine Haut am ganzen Leib juckte. Die Luft ringsum war kühl und ein wenig feucht. Irgendwie spürte er Menschen ganz in seiner Nähe.
Für einen kurzen Augenblick erfasste ihn Angst. Eine Sorge, dass seine Ruhe enden würde, sobald er die Augen öffnete. Dass das Universum irgendwie aus den Fugen geraten sein könnte.
Lächerlich.
Morton öffnete die Augen.
Undeutliche Schemen bewegten sich um ihn herum, Bereiche aus Licht und Dunkelheit wie Wolken an einem Herbsthimmel. Sie wurden scharf, als er mit rheumatischen Augen blinzelte. Er befand sich auf einer Art Liege in einem kleinen, konturlosen Raum, mit einem Wagen voll medizinischer Ausrüstung zu seiner Linken. Zwei Männer standen neben dem Bett und blickten auf ihn herab. Beide trugen medizinisch aussehende grau-grüne Overalls. Overalls, die ganz ähnlich denen waren, welche die Leute vom Justice Directorate getragen hatten, als er in die Suspension gebracht worden war.
Morton versuchte zu sprechen. Er wollte sagen: »Wenigstens sehen Sie immer noch wie Menschen aus«, doch alles, was über seine Lippen kam, war ein leises gurgelndes Geräusch.
»Ganz ruhig«, sagte einer der Männer. »Ich bin Dr. Forole. Sie sind gesund. Das ist zunächst das Wichtigste für Sie. Alles ist in Ordnung. Sie erwachen eben aus der Suspension. Verstehen Sie, was ich sage?«
Morton nickte. Eigentlich war es kein Nicken; er schaffte es gerade so, den Kopf ein wenig auf dem festen Kissen zu neigen. Zumindest gelang es ihm – er erinnerte sich, dass es ein wenig so war wie eine Rejuvenationstherapie. Man lag einfach nur da, vollkommen entkräftet. Diesmal funktionierte sein Körper wenigstens, selbst wenn er nur langsam reagierte. Er schluckte. »Wie ist es denn so?«, flüsterte er.
»Was soll das heißen, ›wie ist es denn
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